Ex-HSV-Trainer Huub Stevens macht sich Sorgen. Er vermutet, dass in der Mannschaft die Balance aus Erfahrung und Unbekümmertheit fehlt.

Hamburg. Er übernahm den HSV im Februar 2007 als Tabellenletzten und führte den Klub in den internationalen Wettbewerb. Huub Stevens kennt das Gefühl, Bundesligaschlusslicht zu sein, und er weiß, wie man sich aus der Krise herausarbeitet. Im Abendblatt spricht der vereinslose 57-Jährige über die Gründe für die HSV-Krise - und ob er sich diese Aufgabe in Hamburg noch mal zutrauen würde.

Abendblatt: Herr Stevens, die vielleicht meistgestellte Frage derzeit an ehemalige Angestellte des HSV: Machen Sie sich Sorgen um den HSV?

Huub Stevens: Na klar. Dafür reicht ein Blick auf die Tabelle.

Der Verein legt Wert auf die Feststellung, dass es einen Aufwärtstrend gibt.

Stevens: Und das ist gut, die Mannschaft braucht Vertrauen. Aber dabei muss man glaubhaft bleiben. Da darf man als Trainer nicht nur loben. Denn auch die Spieler kennen die Tabelle.

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Sie haben den Verein auch mal als 18. übernommen und am Ende in den Europacup geführt. Sie galten als harter Typ, der jetzige HSV-Trainer Michael Oenning eher nicht. Was ist derzeit gefragt?

Stevens: Das ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Ich hatte damals einfach nur eine klare Linie, die ich den Spielern mitgeteilt und anschließend konsequent durchgezogen habe. Das gilt als hart. Aber ich traf damals auf eine Mannschaft mit einer Menge Potenzial. Da waren noch Spieler wie Ivica Olic, Nigel de Jong, Guy Demel, Thimothee Atouba, Joris Mathijsen, Rafael van der Vaart und ganz wichtig: David Jarolim. Der hat mit seiner Laufstärke vieles ausgeglichen. Damals wollte die eine Hälfte stürmen, die andere defensiv spielen. Das ging nicht. Alle müssen einen einzigen Weg vorgegeben bekommen und den auch gehen. Das wiederum verlangt nach Leadern. Und die fehlen nicht nur dem HSV, aber der HSV hat im Gegensatz zu den anderen seine Balance noch nicht gefunden.

Viele Erfahrene sind nicht mehr da, Jarolim wurde zudem anfänglich infrage gestellt. Ist der Umbruch zu radikal?

Stevens: Der Umbruch war sehr mutig. Und jetzt fehlen Ergebnisse. Ich hatte damals eine erfahrene Truppe mit viel Qualität. Jetzt ist auch Qualität da, aber das Team braucht Führung von erfahrenen Spielern. Und ich habe Bedenken, ob davon genug vorhanden sind.

Wurde zu viel Talent eingekauft und zu viel Erfahrung abgegeben?

Stevens: Ich kenne die jungen Spieler wie Slobodan Rajkovic, Jeffrey Bruma oder auch Michael Mancienne. Alle zweifellos große Talente - aber in der Bundesliga wird eben auch außergewöhnlich viel verlangt. Die machen noch Fehler, die brauchen Zeit. Das Risiko abzuschätzen ist die große Kunst.

Nicht nur die Mannschaft steht in der Kritik, auch Trainer Michael Oenning.

Stevens: Wie immer, wenn Ergebnisse fehlen. Aber ich bin mir sicher, dass Michael sein Bestes gibt und Frank Arnesen ihm in dieser schwierigen Phase mit seiner großen Erfahrung helfen kann.

Dennoch droht bei weiteren Misserfolgen der nächste Trainerwechsel. Stünden Sie für eine solche Aufgabe noch mal bereit?

Stevens: Ich bin bald in Hamburg - aber nur als "Liga total!"-Experte. Nein, die Frage stellt sich mir so nicht, es gab da keine Gespräche. Ich habe auch eine tolle Zeit mit der Familie, mache Urlaub. Aber ich gebe zu, dass es nach jetzt schon einem Monat ohne Fußball wieder kribbelt. Wenn ein passendes Angebot kommt - und das meine ich ganz allgemein -, warum denn nicht.