Dortmunds Vereinschef Hans-Joachim Watzke führte die Borussia von der Fast-Insolvenz zur Meisterschaft. Am Sonntag geht es gegen den HSV.

Hamburg. Hans-Joachim Watzke, 52, kommt auf die Minute pünktlich zum vereinbarten Gespräch in die Lobby des Hotels Le Royal Meridien an der Außenalster. Für den Chef der Dortmunder Borussia ist es fast ein Heimspiel. "Ich bin oft und gern in Hamburg", sagt er. Den HSV schätze er schon seit Kindheitstagen, als er noch Uwe Seeler und Willi Schulz bewunderte. Am Sonntag wird diese Freundschaft allerdings für 90 Minuten ruhen, wenn seine Dortmunder beim HSV antreten. Im Februar 2005 trat der Sauerländer sein Amt in Dortmund an, bewahrte den hoch verschuldeten Klub in nächtelangen Verhandlungen mit Gläubigern vor der Insolvenz. Ähnlich direkt zeigt sich Watzke auch im Gespräch mit dem Abendblatt - keiner, der um den heißen Brei herumredet.

Hamburger Abendblatt: Herr Watzke, Ihr Kollege aus Hannover, Vereinschef Martin Kind, macht sich Sorgen um Borussia Dortmund. Er sagt, der 17-Millionen-Euro-Transfer von Marco Reus von Borussia Mönchengladbach sprenge das Gehaltsgefüge. Hat er recht?

Hans-Joachim Watzke: Ich würde Herrn Kind empfehlen, sich um Hannover 96 und um sein Hörgeräte-Unternehmen zu kümmern, da hat er genug zu tun. Um die wirtschaftliche Situation von Borussia Dortmund muss sich niemand mehr sorgen. Dieser Verein ist kerngesund.

Aber kehren Sie mit einem solchen Giganten-Transfer nicht doch in die Hochrisiko-Politik zurück, die den Verein fast in die Insolvenz getrieben hätte?

Watzke: Das ist völliger Blödsinn. Wir haben in den vergangenen sieben Jahren 140 Millionen Euro Schulden abgebaut, im abgelaufenen Geschäftsjahr 9,5 Millionen Euro nach Steuern erwirtschaftet. Das aktuelle Geschäftsjahr dürften wir mit einem ähnlich guten Ergebnis abschließen. Aber wir stehen nicht in Konkurrenz mit der Dortmunder Volksbank um die höchsten Rücklagen. Wir sind ein Fußballverein, der seinen Fans möglichst guten Fußball bieten will. Und diese Chancen werden mit einem Nationalspieler wie Marco Reus steigen.

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Aber dafür opfern Sie Ihre Grundphilosophie, preiswerte Spieler zu echten Stars zu entwickeln.

Watzke: Dieser Grundphilosophie bleiben wir weiter treu. Aber man kann auch an Paradigmen ersticken. Es gab bei uns nie ein Verbot, mal einen großen Transfer zu realisieren. Wir hatten nur in den vergangenen Jahren das Geld nicht. Jetzt haben wir es eingespielt und investieren es in einen jungen Spieler mit enormem Potenzial.

Reus' Gehalt dürfte dennoch astronomisch sein. Sonst wäre er sicher zum FC Bayern München gewechselt, der auch um Reus gekämpft hat.

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Watzke: Ich werde hier keine Gehälter kommentieren. Nur so viel: Reus hätte bei Bayern deutlich mehr verdient. Er hat sich für Dortmund entschieden, weil er ein Dortmunder Junge ist und er Vertrauen in die sportliche Leistungsfähigkeit des BVB hat.

Haben Sie Ihren B-Jugend-Trainer eigentlich gefeuert? Dort kam Reus schließlich nicht zum Zuge und hat dann den Verein gewechselt. Jetzt holen Sie ihn für 17 Millionen Euro zurück.

Watzke: Natürlich wäre es mir anders lieber gewesen. Aber es ist unmöglich, die Entwicklung eines 15-Jährigen wirklich präzise vorherzusagen. Damals war Reus so klein und schmächtig, dass er bei uns nicht gespielt hat. Deshalb hat er unseren Verein verlassen. Aber da mache ich unserem damaligen Trainer überhaupt keinen Vorwurf. Der macht nach wie vor einen guten Job.

Blasen Sie mit dem Reus-Transfer zum Generalangriff auf den FC Bayern?

Watzke: Nein, die Bayern behalten dank ihrer herausragenden Arbeit in den vergangenen 40 Jahren auf absehbare Zeit ihre Ausnahmestellung. Gucken Sie sich zudem den strukturellen Vorteil an. Das Bundesland Bayern ist wirtschaftlich ungleich stärker als Nordrhein-Westfalen. Und wir kämpfen hier auf engstem Raum auch noch mit Traditionsklubs wie Köln, Mönchengladbach oder Schalke um Sponsoren.

Warum bemühen Sie nicht externe Investoren um die Finanzierung eines Transfers, so wie es der HSV mit dem Milliardär Klaus-Michael Kühne gemacht hat?

Watzke: Jeder Verein muss selbst entscheiden, welchen Weg er geht. Aber für Borussia Dortmund schließe ich ein solches Modell aus. Es ist doch immer die Frage, welchen Preis man zahlt, wenn man Spieler auf diese Weise finanziert. Wir haben es doch bei Herrn Kühne gesehen, ohne Frage ein honoriger Kaufmann. Er hat sich öffentlich kritisch über die Spieler geäußert, die mit seinem Geld verpflichtet wurden. Der Kollateralschaden ist enorm, für die Fans, aber auch für die betroffenen Spieler. Ich weiß nicht, ob es gut ist, einen solch vielstimmigen Chor zu erzeugen. Aber wie gesagt, das muss jeder Verein selbst entscheiden.

Ist Ihr Weg von der Fast-Insolvenz zur deutschen Meisterschaft eigentlich kopierbar? Oder funktioniert dies nur mit der enormen Strahlkraft von Borussia Dortmund?

Watzke: Nein, das ist keine Hexerei. Ich sage Ihnen, dass der HSV sogar das noch größere Potenzial hat.

Das meinen Sie nicht im Ernst!

Watzke: Ich lade Sie gern ein, mal mit mir durch Dortmund zu fahren. Ich bin sicher, dass in einem Hamburger Bezirk mehr vermögende Leute wohnen als in Dortmund, vielleicht sogar im ganzen Ruhrgebiet. Zudem hat der HSV ein riesiges Einzugsgebiet, da ja in Schleswig-Holstein kein Profiklub mehr ansässig ist. Das Stadion ist wunderbar, die Tradition ganz groß, die Fans extrem treu. Ich sehe es doch, wenn wir gegen den HSV ein Heimspiel bestreiten. Die bringen 6000 bis 7000 Fans mit. Ganz ehrlich, wenn es nicht Dortmund geben würde, könnte der HSV mein Lieblingsverein sein. Der Klub ist großartig.

Bleibt die Frage, warum es dieser Verein seit Jahren nicht hinbekommt, ganz oben anzugreifen.

Watzke: Ich kann das aus der Ferne nicht beurteilen. Ich weiß nur aus eigener Erfahrung, was der wichtigste Faktor ist: Geduld. Du musst den Fans glaubwürdig vermitteln, dass auch mal über Jahre die wirtschaftliche Konsolidierung den Vorrang vor sportlichem Erfolg hat.

Aber Mittelmaß ist in Hamburg einfach nicht erlaubt.

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Watzke: Steht das in der Verfassung Ihres Stadtstaates? Aber im Ernst, was meinen Sie, wie oft ich das in Dortmund in den Neunzigern gehört habe. Mittelmaß geht nicht, wir müssen oben angreifen. Am Ende hat genau diese Politik fast zur Insolvenz geführt. Wir haben dann den Gehaltsetat von 57 Millionen auf 24 Millionen Euro heruntergefahren. Da müssen Sie dann ganz transparent machen, dass unter diesen Umständen schon ein siebter Platz ein großer Erfolg ist. Und so ein Wandel braucht nun mal seine Zeit.

Die gibt es im Fußball nicht.

Watzke: Doch. Es kann zwar sein, dass die Zuschauerzahlen etwas bröckeln. Aber die echten Fans wollen nur spüren, dass die Mannschaft, die dann auf dem Platz steht, alles gibt. Dann bleiben sie treu. Wobei ich zugeben muss, dass wir vor allem in unserer kritischen Phase einen großen Vorteil hatten.

Welchen?

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Watzke: Unsere schlanke Organisationsstruktur. Wir konnten und können ganz schnell reagieren. Wenn wir - also Sportdirektor Michael Zorc, Trainer Jürgen Klopp und ich als Geschäftsführer - uns einig sind, realisieren wir einen Transfer, selbst in der Größenordnung wie bei Marco Reus. Anders als der HSV müssen wir uns keine Zustimmung vom Aufsichtsrat holen.

Aber Sie haben doch auch ein Kontrollgremium.

Watzke: Sicher. Aber dieses Gremium gibt einmal im Jahr unser geplantes Budget frei. Innerhalb dieses Budgets können wir frei entscheiden.

Verraten Sie uns abschließend noch Ihren Tipp für das Spiel am Sonntag.

Watzke: Oh, der wird sich noch ändern. Es ist bei uns Tradition, dass ich immer pessimistischer werde, je näher die Partie heranrückt. Wenn ich mal kurz vor dem Anpfiff auf einen Sieg tippen würde, würden der Jürgen (Klopp, die Redaktion ) und der Michael (Zorc, die Redaktion ) richtig nervös. Das kann ich nicht machen.