HSV-Chef Jarchow schaut positiv in die Zukunft, spricht über ein neues Investorenmodell und plädiert für die Aufarbeitung der Ära Hoffmann.

Hamburg. Carl Jarchow ist zu früh. Kurz vor dem verabredeten Zeitpunkt um 16 Uhr erscheint der Vorstandsvorsitzende des HSV im Hotel Gastwerk, bestellt einen Tee und gewährt einen kurzen privaten Rück- und Ausblick. Er habe gerade mit seiner Familie im Restaurant Fischereihafen gegessen und werde Silvester mit seiner Frau bei Freunden feiern. Den ausführlichen Rück- und Ausblick hat sich Jarchow aber für das große Abendblatt-Interview aufgehoben.

Hamburger Abendblatt: Herr Jarchow, war 2011 das schlechteste HSV-Jahr aller Zeiten?

Carl Jarchow: Es war mit Sicherheit ein sehr turbulentes Jahr. Aber manchmal neigt man ja zu vergessen, dass auch in den guten alten Zeiten nicht immer alles gut war. Ich erinnere daran, dass der HSV auch schon mal auf Platz 18 überwintert hat.

Hat das Ansehen des HSV in den vergangenen zwölf Monaten gelitten?

Jarchow: Natürlich hat das Image kurzfristig gelitten. Es ist ja nicht normal, dass man innerhalb kürzester Zeit den Trainer, Sportchef und Vorstand wechselt. Aber trotz aller Schwierigkeiten wird der HSV in Deutschland noch immer als Top-Marke wahrgenommen.

Vor der Saison haben Sie in einem Abendblatt-Interview beklagt, dass der HSV zuletzt keine richtige Mannschaft hatte. Hat sich das mittlerweile geändert?

Jarchow: Zumindest sind wir auf einem sehr guten Weg dahin, ganz unabhängig von den sportlichen Erfolgen. Anders als früher unternehmen die Spieler auch mal privat was. Langfristig wird sich das auf dem Feld widerspiegeln.

Und wie ist es um die Zusammenarbeit mit den Gremien bestellt?

Jarchow: Da kann ich mich nicht beschweren. Wahrscheinlich hat mir persönlich auch ein wenig geholfen, dass ich schon vor meiner Zeit als Vorstandsvorsitzender in vielen Gremien des Vereins aktiv war.

Dürfen Sie als Vorstandsvorsitzender den Wunsch äußern, dass die Zusammenarbeit mit Oliver Scheel, der sich am 15. Januar seiner Wiederwahl stellen muss, fortgesetzt wird?

Jarchow: Als Vorstand verbietet es sich, eine Wahlempfehlung auszusprechen. Aber wenn Sie mich fragen, wie die Zusammenarbeit im Vorstand war, dann kann ich nur positive Dinge anmerken.

Droht bei der Mitgliederversammlung trotzdem eine erneute Schlammschlacht in Bezug auf die Vergangenheitsbewältigung von Bernd Hoffmann?

Jarchow: Das glaube und hoffe ich nicht. Aber natürlich haben die Mitglieder das Recht, detailliert über das vergangene Geschäftsjahr informiert zu werden. Und das wird im Rahmen des Berichts des Aufsichtsrats auch passieren. Wenn es da Nachfragen gibt, werden sie beantwortet werden. Ich wünsche mir, dass der Punkt Rückbetrachtung dann ein für alle Mal abgeschlossen sein wird.

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Die Rückbetrachtung über Hoffmanns Amtszeit kann ja nur abgeschlossen werden, wenn er entlastet wird.

Jarchow: Da bin ich mir nicht sicher. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass auch die ehemaligen Vorstände Volker Lange und Jürgen Engel nach ihrer Amtszeit nicht entlastet wurden. Dafür interessiert sich mittlerweile aber kein Mensch mehr. Die Entlastung des Vorstands ist ein formeller Vorgang, der nicht zwangsläufig eine neue Schlammschlacht nach sich ziehen muss.

Würden Sie eine Entlastung Ihrer Vorgänger befürworten?

Jarchow: Das ist ausschließlich Sache der Mitglieder und nicht des Vorstands.

Finanzielle Nachforderungen wird es vonseiten des HSV an Bernd Hoffmann also nicht geben?

Jarchow: Das ist mir nicht bekannt, aber da müssen Sie besser die Vertreter des Aufsichtsrats fragen. Es ist ja bekannt, dass der Aufsichtsrat eine rechtliche Bewertung einiger Vorgänge des alten Vorstands hat vornehmen lassen, deswegen steht es mir als neues Vorstandsmitglied auch gar nicht zu, diese Vorgänge zu kommentieren.

Sie werden aber nicht darum herumkommen, die finanzielle Lage des HSV zu kommentieren.

Jarchow: Das ist ja auch längst kein Geheimnis mehr. Ich habe mehrfach seit meinem Amtsantritt betont, dass es alternativlos war, die Kosten radikal herunterzufahren. Am wichtigsten ist doch immer, dass die eigene Liquidität nicht gefährdet ist.

War die Liquidität in Gefahr?

Jarchow: Unsere Liquidität wäre jedenfalls in Gefahr geraten, wenn wir unsere Personalkosten nicht auf unter 40 Millionen Euro gesenkt hätten. Um es einmal deutlich zu sagen: Es führte kein Weg daran vorbei, unseren Gehaltsetat drastisch zu senken.

Trotzdem hat der HSV in der vergangenen Saison 4,8 Millionen Euro Minus gemacht. Mit was für einem Minus muss man in der laufenden Saison rechnen?

Jarchow: Ich gehe davon aus, dass das Minus für die Saison 2011/12 nicht ganz so hoch ausfallen wird. Genau kann man das zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht prognostizieren.

Wann kann man damit rechnen, dass die finanzielle Konsolidierung vorbei ist?

Jarchow: Unser Ziel ist es, dass wir trotz Altlasten in der Saison 2012/2013 wieder schwarze Zahlen schreiben. Und ich bin optimistisch, dass wir das schaffen.

Wie wollen Sie das schaffen?

Jarchow: Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen.

Wäre eine Fortsetzung des Investorenmodells mit Milliardär Klaus-Michael Kühne denkbar?

Jarchow: Dieses Investorenmodell dürfte in seiner Form eine große Ausnahme für den HSV gewesen sein. Die Art und Weise dieses Modells war sicherlich nicht ganz glücklich, sodass es so ein Modell sicherlich nicht noch mal geben wird. Zudem kommen nur wenige Privatpersonen für ein finanzstarkes Investorenmodell infrage.

Einer davon bleibt trotz aller Kritik an dem alten Investorendeal Klaus-Michael Kühne. Wäre es denkbar, dass sich Herr Kühne in anderer Form als bisher finanziell beim HSV engagiert?

Jarchow: Ich muss auf jeden Fall einmal klarstellen, dass viele Klaus-Michael Kühne in der Vergangenheit Unrecht getan haben mit der veröffentlichten Kritik an seinem Engagement. Er hat uns einen zweistelligen Millionenbetrag ohne wirkliche Sicherheiten zur Verfügung gestellt. Niemand weiß, ob jemals einer der sechs Spieler verkauft wird, an denen er Anteile hält, und wenn ja, zu welchem Preis. Herr Kühne ist ein absoluter HSV-Fan, der mit seiner Hilfe den HSV wieder zu erfolgreichen Zeiten führen will.

Könnten Sie sich denn vorstellen, einen neuen Investorenvertrag mit Herrn Kühne aufzusetzen, nach dem er lediglich einen Neuzugang für den HSV finanziert?

Jarchow: So ein Modell könnte ich mir schon vorstellen. Ich will auch gar nicht verhehlen, dass wir im guten Kontakt sind mit Herrn Kühne, zuletzt hat sich ihm Trainer Thorsten Fink vorgestellt. Es ist momentan so und wird in der Zukunft auch immer wieder vorkommen, dass andere Parteien wirtschaftliche Anteile an Spielern von uns besitzen, ohne aber Einfluss nehmen zu können. Das kann man auch nicht ausschließen, solange man wirtschaftlich nicht unbedingt auf Rosen gebettet ist.

Es gibt allerdings einen Antrag auf der Mitgliederversammlung, dass neue Investorenmodelle durch die Mitglieder abgestimmt werden müssten. Wird der Antrag angenommen, dürfte dies Ihre Arbeit nicht unbedingt erleichtern.

Jarchow: Grundsätzlich habe ich mit diesem Antrag keine Probleme, entscheiden werden aber die Mitglieder.

Was erhoffen Sie sich sportlich für das Jahr 2012?

Jarchow: In der Rückrunde erhoffe ich mir, dass wir uns weiter stabilisieren und den angestrebten Platz im gesicherten Mittelfeld erreichen. Schaffen wir das, können wir in der neuen Saison über andere Ziele nachdenken.

Zum Beispiel die Rückkehr in den internationalen Wettbewerb?

Jarchow: Zum Beispiel. Es wäre wünschenswert, in der Saison 2012/2013 um die Plätze eins bis sechs mitzuspielen.

Was würden Sie heute machen, wenn Sie nicht HSV-Chef geworden wären?

Jarchow: Dann wäre ich wahrscheinlich immer noch im operativen Geschäft meiner Medienfirma tätig. Mit Sicherheit hätte ich dann mehr Ruhe, aber weniger Freude bei meiner Arbeit.

Haben Sie den Jobwechsel jemals bereut?

Jarchow: Nie. Es gibt keinen schöneren Beruf, als Vorstandsvorsitzender des HSV zu sein. Es ist ein Traumjob.

Sehen Sie das auch noch so, wenn irgendwann mal die Nordkurve nach drei Niederlagen in Folge "Jarchow raus" ruft?

Jarchow: Das weiß ich nicht. Aber ich werde alles dafür tun, nie in eine solche Situation zu kommen. Aus der Politik weiß ich jedenfalls, dass einem der Wind oft von vorne ins Gesicht bläst.

Dürfen wir Ihnen zum Schluss eine gemeine Frage stellen?

Jarchow: Ich bitte darum.

Wer hat Ihnen in diesem Jahr mehr Sorgen bereitet: der HSV oder die FDP?

Jarchow: Ehrlich gesagt hat mir der HSV schon mehr Sorgen als die FDP gemacht. Bei beiden bin ich aber optimistisch, dass im nächsten Jahr bessere Zeiten folgen.