Am 15. Januar wird auf der Mitgliederversammlung über die Einführung einer HSV-Fernwahl abgestimmt. Gegner und Befürworter positionieren sich.

Hamburg. Der Aufruf von "Rauten-Hannes" ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten: "Am 15. Januar 2012 hat es jedes Vereinsmitglied selbst in der Hand", schreibt der HSV-Fan im Abendblatt-Blog "Matz ab", "bitte stimmt für Brief-/Fernwahl und Verkleinerung des Aufsichtsrates."

Ähnliche Aufrufe finden in diesen Tagen häufig den Weg in die endlosen Weiten des Internets. Etwas mehr als zwei Wochen vor der Mitgliederversammlung des HSV im Saal 1 des CCH dominiert das Thema Fernwahl wie kein anderes die HSV-Foren. Verantwortlich hierfür ist Jan Talleur, der als Mitglied des Satzungsausschusses einen Antrag zur Fernwahl gestellt hat und nun auf eine Dreiviertelmehrheit hoffen muss. Unter Tagespunkt 30 fordert er, dass "zu wählende Aufsichtsräte sowie das Vorstandsmitglied für Mitgliederbelange auch mittels Briefwahl oder einem elektronischen Pendant hierzu" gewählt werden können. Der 48-Jährige hat bereits eine fünfseitige Machbarkeitsstudie (liegt dem Abendblatt vor) erstellt, in der er von rund 40 000 Euro Mehrkosten für den HSV ausgeht. "Ich möchte, dass die Wahlen auf eine breite Basis gestellt werden. Es kann nicht sein, dass ein Aufsichtsrat nur von einem Prozent der Mitglieder gewählt wird. Mit der Fernwahl würde der HSV eine Vorreiterrolle in der Bundesliga einnehmen", sagt Talleur, der sich selbst als Mitglied der oppositionellen Initiative Pro HSV bezeichnet.

Tatsächlich gibt es keinen einzigen Bundesligaverein, der seine Mitglieder per Fernwahlen über Personalien entscheiden lässt. In Deutschland hat lediglich Dynamo Dresden die Möglichkeit der Briefwahl in seiner Satzung verankert, international bieten mitgliederstarke Vereine in Spanien derartige Möglichkeiten. So ließ Real Madrid bei den Präsidentschaftswahlen Briefwahlen zu. "Als der FC Barcelona seine Mitglieder über ein rauchfreies Stadion abstimmen ließ, haben mehr als 70 000 Mitglieder ihr Votum per Briefwahl abgegeben", sagt Talleur, der wegen der technischen Umsetzung das Unternehmen Computershare kontaktiert hat.

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Glaubt man dem harten Kern der HSV-Fans, ist für den HSV aber noch lange nicht gut, was für Real Madrid oder den FC Barcelona gut sein mag. Unter der Überschrift "Fernwahl? Nee, lass mal stecken ..." haben sich die vereinspolitisch aktiven Chosen Few auf ihrer Homepage klar gegen die Möglichkeit einer Fernwahl ausgesprochen. Bereits bei der letzten Mitgliederversammlung haben die Chosen Few eine Wahlempfehlung über ihre Internetpräsenz abgegeben - damals bei den Wahlen zum Aufsichtsrat. "Warum sollten wir, die wir so stolz auf unsere Vereinsstruktur sind, denjenigen, die uns unser Mitspracherecht und eben diese Struktur nehmen wollen, Tür und Tor öffnen?" wird diesmal auf der Homepage gefragt. Und auch die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Es verstehe sich doch von selbst, so steht es auf der Chosen-Few-Homepage geschrieben, dass sich ein Mitglied vor Ort selbst ein Bild machen muss.

Seltene Einigkeit in puncto Fernwahl herrscht vereinsübergreifend zwischen den Treusten der Treuen des HSV und des FC St. Pauli. "Abstimmungen sollten so stattfinden, dass man sich über die Sachverhalte austauschen kann. Das ist bei einer Briefwahl schwer möglich", sagt Alexander Gunkel, Vorsitzender von St. Paulis Abteilung Fördernder Mitglieder. "Wer auf einer Mitgliederversammlung anwesend ist, kann sich ein persönliches Bild von den Kandidaten machen. Ein Aspekt, den ich gerade auf Grundlage meines Demokratieverständnisses und mit Blick auf die Vereinskultur für sehr wichtig halte", sagt Fernwahl-Gegner Gunkel.

Innerhalb des HSV-Aufsichtsrats wird die Möglichkeit einer Fernwahl äußerst kontrovers diskutiert. Zumindest intern sollen Horst Becker, Eckart Westphalen, Alexander Otto und auch Jörg Debatin einer möglichen Fernwahl sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. "Zunächst mal brauchen wir aber eine große Mitgliederbefragung, bei der dann die Mitglieder entscheiden sollen", sagt Becker, der sich mit so einer Befragung auch ein Votum über die Größe des Aufsichtsrats und über andere vereinspolitischen Themen einholen möchte. Nach Abendblatt-Informationen ist eine derartige Befragung in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln bereits in Arbeit und soll Ende Januar durchgeführt werden.

Definitiv gegen eine Fernwahl ist dagegen Aufsichtsratsvize Manfred Ertel, der dies auch öffentlich begründet. "Eine Brief- und/oder Fernwahl öffnet der Manipulation Tür und Tor, weil nicht mehr zu kontrollieren ist, wer letztendlich die Briefwahlunterlagen ausfüllt oder sich mit dem PIN-Code eines HSV-Mitglieds oder mehrerer Mitglieder einloggt", sagt Ertel, der auch darauf hinweist, dass eine Brief- oder Fernwahlwahl "Mitglieder erster und zweiter Klasse" schaffen würde, "weil bei einzelnen Wahlen aus der Ferne mitbestimmt werden darf, bei anderen Abstimmungen aber nicht." Zudem würden Fernwahlen ein neues Wahlverfahren (nur noch ein Wahlgang) erfordern, was seiner Meinung nach die Vereinsdemokratie schwächen würde.

Thomas Krüger, Mitglied der sogenannten HSV-Realos, sieht dies ganz anders. "Wenn man den Mitgliedern die vollen Mitgliedsrechte einschließlich Stimmrecht zubilligt und sie nicht nur zu stimmrechtslosen Beitragszahlern macht, dann ist es konsequent, ihnen die Ausübung ihrer mitgliedschaftlichen Rechte auch weitestgehend zu ermöglichen", sagt Krüger, der Anfang des Jahres einen Aufsatz über die Möglichkeit von Fernwahlen in Vereinen in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht. Krüger glaubt, dass man Vereine wie den HSV in Bezug auf eine Briefwahl auch mit Aktiengesellschaften, bei denen Fernwahlen gesetzlich geregelt seien, vergleichen kann.

Verhindert werden kann dabei allerdings nicht, was bei Real Madrids Präsidentschaftswahlen im Jahr 2006 passiert ist. Damals hatte Ex-Präsident Ramon Caldéron seinen Wahlsieg nur deshalb erwirkt, weil er vor Gericht die Annullierung von 10 500 per Briefwahl abgegebenen Stimmen erwirkt hatte.

Wer die Wahl hat, hat die Qual.