Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben großen Nachholbedarf: Nicht mal jeder 100. Pädagoge hat ausländische Wurzeln.

Hamburg/Hannover/Kiel. In vielen deutschen Schulklassen hat inzwischen jedes zweite Kind ausländische Wurzeln - aber nur ein Bruchteil der Lehrer hat ebenfalls Migrationshintergrund. Die "Zeit"-Stiftung versucht das in Kooperation mit den Kultusministerien der Länder zu ändern. "Deutschland ist ein Einwanderungsland, und das muss sich in den Lehrerzimmern widerspiegeln", sagt Tatiana Matthiesen, die bei der "Zeit"-Stiftung in Hamburg das Projekt "Mehr Migranten werden Lehrer" betreut.

An der Uni Hildesheim wird das konkret angegangen. Dort beginnt am 1. November ein viertägiges Seminar für bis zu 30 Oberstufenschüler mit dem Ziel, Jugendliche für den Lehrerberuf zu begeistern. Das ist auch dringend erforderlich, nur 500 von über 70 000 Lehrern in Niedersachsen sind Migranten. Und bundesweit, so seriöse Schätzungen, haben bestenfalls sechs Prozent der Lehramtsstudenten ausländische Wurzeln, während derMagrantenanteil an der Bevölkerung bei 20 Prozent liegt. Ganz genau eingrenzen lassen sich die Zahlen aber nicht, weil sie nicht amtlich erfasst werden dürfen, sondern lediglich auf freiwilliger Basis abgefragt werden.

Eindeutig ist aber ein Gefälle zwischen der Großstadt Hamburg und den benachbarten Flächenländern. In Hamburg, so die Auskunft des Pressesprechers der Behörde für Schule und Berufsbildung, hatten im Mai bei der Einstellung der neuen Referendare immerhin 20 Prozent einen Migrationshintergrund. Weil gleichzeitig Lehrkräfte pensioniert werden, so rechnete er auf Anfrage vor, steigt also der Anteil der Lehrkräfte mit Migrationshintergrund an. Hülya Ösün ist Hamburger Landeskoordinatorin für das Netzwerk "Lehrkräfte mit Migrationshintergrund". Auch für sie geht es wie bei dem Hildesheimer Projekt darum, Jugendlichen Informationen über den Lehrerberuf zu vermitteln und Studenten mit Migrationshintergrund zu unterstützen und zu begleiten. Die haben nach ihrer Überzeugung ein "besonderes Potenzial", weil sie oft mehrsprachig aufgewachsen sind.

Landeskoordinatorin des Netzwerks in Niedersachsen ist die 34-jährige Adisa Stöfer-Avdic. Sie kam als 16-Jährige aus Bosnien: "Ich möchte Vorbild sein und Schülern zeigen, wie man trotz erschwerter Bedingungen eine erfolgreiche Bildungskarriere machen kann." Das sieht auch der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) so: "Integration durch Bildung lebt auch durch Vorbilder." Und der schleswig-holsteinische Bildungsminister Ekkehard Klug (FDP) hofft, solche Vorbilder könnten junge Migranten dazu anhalten, "sich für ihren Erfolg in der Schule anzustrengen". Allein in Niedersachsen gehören dem Netzwerk inzwischen rund 180 Kollegen an. Die "Zeit"-Stiftung bietet ihre Seminare bundesweit immer in Kooperation mit örtlichen Netzwerken und den Kultusministerien an.

Wer junge Migranten für ein Lehrerstudium gewinnen will, muss Überzeugungsarbeit leisten. Da sind, wie es das Bundesamt für Migration festgestellt hat, schlechte Vorerfahrungen mit Lehrern sowie Ängste, den Anforderungen des Staatsdienstes nicht gewachsen zu sein. Adisa Stöfer-Avdic bestätigt das Problem: "Viele Migranten haben schlechte Erfahrungen in der Schule gemacht." Aber sie ist auch überzeugt, dass Lehrer aus Zuwandererfamilien eine große Chance für die Schulen sind: "Wir können als Vermittler zwischen Eltern, Schülern und Kollegen fungieren." Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund einer aktuellen Studie: Danach sieht eine Mehrheit der türkisch-stämmigen Eltern Zuwandererkinder in der Schule benachteiligt.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Der Lehrerberuf ist in vielen Migrantengruppen nicht sonderlich gut angesehen. Die Einschätzung von Tatiana Matthiesen von der "Zeit"-Stiftung macht das deutlich: "Die meisten Migrantenkinder wollen Medizin, Betriebswirtschaftslehre oder Jura studieren, weil das auch in den Augen der Eltern mehr Prestige hat." Bestätigt wird diese Einschätzung durch den jüngsten Bildungsbericht der Bundesregierung: Danach ist die Zahl der anderen Hochschulabschlüsse, die junge Leute aus Migrantenfamilien machen, dreimal so hoch wie die Zahl der Lehramtsabsolventen. Die Schulen sind als Arbeitsplatz dabei deutlich unattraktiver als die Polizei: Hier haben in Niedersachsen und Schleswig-Holstein rund zehn Prozent der Beamten ausländische Wurzeln.