Praxis-Lerntage: Die Vermittlung von Berufserfahrung zählt zum Unterricht. Ziel des erfolgreichen Projekts der Bildungsbehörde ist es, Jugendlichen den Weg in die Arbeitswelt zu erleichtern.

Ein Jahr Schule hat Johannes Schwarz noch vor sich. Doch der 14 Jahre alte Hauptschüler aus Lohbrügge hat schon mehr im Kopf als Mathematikformeln, Englischvokabeln und Deutschaufsätze. Er denkt an Automotoren, Werkzeuge - und an das, was er nach seinem Schulabschluß machen möchte: als Kraftfahrzeugmechatroniker arbeiten.

Seinen Traumberuf hat Johannes im Unterricht gefunden - den er im vergangenen Jahr zu einem Großteil nicht in den Klassenräumen der Schule Richard-Linde-Weg, sondern in einer Kfz-Werkstatt und einem Handwerksbetrieb verbracht hat. Und dort standen Reifenwechsel, Rumschrauben, Sägen, Skizzen machen und Kundenbetreuung auf dem Stundenplan. "Ich konnte richtig mit anpacken", sagt der zierliche Junge selbstbewußt.

Praxis-Lerntage nennt sich das Projekt der Behörde für Bildung und Sport, an dem hamburgweit rund 1500 Schüler teilnehmen. Die Idee: Die Hauptschüler der achten und neunten Klasse besuchen ein oder zwei Tage pro Woche einen Betrieb, lernen und arbeiten dort jeweils ein halbes Jahr lang. So können sie bis zu vier Ausbildungsberufe kennenlernen. "Die Schüler sollen sich in den verschiedenen Berufswelten orientieren, ihre Fähigkeiten testen und darauf basierend eine realistische Berufswahl treffen", sagt Projektleiter Alfred Lumpe, der als Oberschulrat an der Bildungsbehörde zuständig für die Gestaltung des Übergangs von Schule in die Arbeitswelt ist. "Im Gegenzug können sich die Arbeitgeber einen ersten Eindruck von den jungen Menschen verschaffen." Rund 70 Klassen von mehr als 30 Schulen haben im vergangenen Jahr Praxis-Lerntage in ihren Unterricht integriert. Mehr als 1000 Betriebe haben Praktikumsplätze zur Verfügung gestellt. Ab nächstem Schuljahr steht das Projekt jeder Hamburger Hauptschule offen.

Denn der Erfolg läßt sich messen: Während in den vergangenen Jahren durchschnittlich zehn Prozent der Absolventen direkt in eine Lehrstelle vermittelt werden konnten, sind es 2005 ganze 17 Prozent. Noch wichtiger sei allerdings die Entwicklung der Schüler. "Sie gewinnen Selbstvertrauen, stärken ihre Persönlichkeit und sind motivierter in der Schule", sagt Reiner Lehberger (58), wissenschaftlicher Begleiter des Projekts.

Auch Johannes hat sich weiterentwickelt. "Er hat gute Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen", sagt Lehrerin Martina Briese. Bei seinem zweiten Praktikum, in der Casemanufaktur "Don't panic", einem Betrieb, der Koffer und Boxen herstellt, konnte Johannes zeigen, daß er mit Materialien wie Holz, Kunststoff und Metall umgehen und selbständig arbeiten kann. "Außerdem hat er die Grundkriterien der Berufswelt kennengelernt", sagt Geschäftsführer Oleg von Cube. Dazu gehöre, pünktlich und aufmerksam zu sein, sich anzupassen, eigene Ideen zu äußern und Fragen zu stellen.

Zwölf Praktikanten hat von Cube bereits in seinem Betrieb gehabt. Die meisten hätten anschließend gewußt, in welchem Bereich sie später arbeiten möchten. Fast alle hätten zudem ein gutes Zeugnis mit auf den Weg bekommen. Das kann mehr wert sein, als alle Mathematikformeln auswendig zu kennen.