ABENDBLATT: Herr Becker, wie beurteilen Sie die Ausbildungschancen für Hauptschulabsolventen im handwerklichen Bereich?

PETER BECKER: Die Situation im Handwerk ist erheblich besser als in anderen Zweigen. Von den fast 4000 Absolventen aus dem vergangenen Jahr ist gut ein Drittel in handwerklichen Betrieben untergekommen. Das Handwerk erfüllt also seine Pflicht. Wenn auch andere Zweige sich stärker engagieren, könnte die Ausbildungsquote natürlich gesteigert werden. Doch auch die Hauptschüler selbst müssen bestimmten Anforderungen entsprechen.

ABENDBLATT: Tun sie das denn heutzutage noch ausreichend?

PETER BECKER: In ihrer Grundstruktur haben sich die Jugendlichen nicht verändert. Was vielen fehlt, sind elementare Kenntnisse, etwa in Mathematik. Die Schüler können zwar mit einem Taschenrechner umgehen, aber einfache Dinge wie Dreisatz nicht begreifen. Die Voraussetzungen sind da, schließlich bekommen sie es auch hin, wenn sie etwa ein Handy programmieren. Dann können sie das andere auch.

ABENDBLATT: Was muß getan werden?

PETER BECKER: Die Schule kann auf jeden Fall nicht der einzige Punkt sein. Die Probleme fangen schon in den Familien an, die Defizite in den familiären Strukturen sind groß. Das hat Auswirkungen auf das Verhalten der Schüler, was von den Lehrern nicht komplett aufgefangen werden kann. Aus diesem Grund spielt der Praxisbezug eine entscheidende Rolle. Durch Einblicke in die Arbeitswelt verändert sich auch das Verhalten der Jugendlichen. Sie werden nicht nur motivierter, sondern bekommen selbst mit, worauf es ankommt: pünktlich, ordentlich, sauber und freundlich zu sein und eine gewisse Disziplin und Regelmäßigkeit aufzubringen. Deshalb bin ich ein großer Befürworter und Unterstützer der Praxis-Lerntage, bei denen die Schüler über ein oder zwei Schuljahre für ein bis zwei Wochentage in einem Betrieb arbeiten.

ABENDBLATT: Ab kommendem Schuljahr können alle Schulen die Praxis-Lerntage in den Unterricht integrieren. Doch viele Lehrer beklagen, daß die Praktikumsplätze schon jetzt knapp sind.

PETER BECKER: Das Problem ist, daß sich andere Wirtschaftszweige immer weiter aus dem Bereich Hauptschule verabschieden. Da muß die Wirtschaft offener werden. In meinem Betrieb beispielsweise ist es mir egal, ob Real- oder Hauptschüler mit anpacken. Zeugnisse und Abschlüsse sind nicht immer aussagekräftig, da habe ich selbst schon viel erlebt. In der Wirtschaft herrscht großenteils die Meinung vor, Hauptschulen seien passe - das muß definitiv überdacht werden. Mein Appell an die gesamte Wirtschaft ist, den Schülern über die Praxis-Lerntage eine Chance am Markt zu eröffnen. Auch hier ist das Handwerk wieder vorbildlich in der Bereitstellung. Aber auch die Gesellschaft muß ihren Beitrag leisten. Werden ein Großteil der Arbeitsaufträge an Firmen außerhalb Hamburgs vergeben, fehlt es in der Stadt an Arbeit und damit auch an Ausbildungsplätzen. So reduziert der Egoismus des einzelnen die Chance der Jugendlichen. Alle Hauptschulabsolventen können sicher nicht integriert werden. Aber es müssen ihnen die Plätze angeboten werden.