Der Verfassungsschutz in Hannover hat eingeräumt, den Verdächtigen Holger G. beobachtet, aber die “Randifgur“ nicht weiter verfolgt zu haben.

Hannover. Im Zusammenhang mit der Fahndung nach den Thüringer Rechtsextremisten der Terror-Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hat Niedersachsen grobe Fehler in der Vergangenheit eingeräumt. Noch vor Beginn der Mordserie gab es Erkenntnisse, dass der mutmaßliche Terrorhelfer Holger G. , der am Wochenende festgenommen wurde, dem Neonazi-Trio Uwe M., Uwe B und Beate Zschäpe beim Untertauchen helfen sollte, wie Verfassungsschutzpräsident Hans Wargel am Mittwoch in Hannover sagte. Im Herbst 1999 wurde er deshalb nach einer Anfrage aus Thüringen drei Tage lang vom niedersächsischen Verfassungsschutz observiert.

"Er stand also schon damals in Verdacht, Kontakt mit den untergetauchten Rechtsterroristen zu haben“, sagte Wargel. Die Bewertung von G. als "Randfigur“ sei deshalb falsch gewesen. Allerdings wurden nach der Observation in Niedersachsen selbst keine weiteren Maßnahmen ergriffen, obwohl in dem Bericht zur Observation das Wort "Rechtsterrorismus“ sowie die Namen der drei mutmaßlichen Terroristen auftauchen.

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"Der Bericht wurde nicht in die Auswertungsakten zu seiner Person aufgenommen. Offenbar hat man das ganze als Dienstleistung für Thüringen gesehen“, sagte Wargel. Eine Nähe des Verfassungsschutzes zum Rechtsextremismus in Niedersachsen schloss er am Mittwoch aus.

Schünemann kritisiert Abschottung des Verfassungsschutzes

Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kritisierte die damals übliche "Abschottung“ des Verfassungsschutzes. Es werfe Fragen auf, warum G. damals nicht weiter observiert worden sei oder eine Telefonüberwachung angestoßen wurde, sagte Schünemann. Wären die Erkenntnisse auch in Niedersachsen gespeichert worden, wären auch 2009 wohl nicht die Daten von G. gelöscht worden, sagte Wargel.

Nach Angaben von Wargel war die Observation von Holger G. 1999 ergebnislos. Man habe zwar verschiedene Telefonanrufe von einer Telefonzelle und mit einem Mobiltelefon feststellen können. Wer angerufen wurde, sei aber unklar. Wargel räumte aber ein, dass die Observation nicht rund um die Uhr vorgenommen wurde. Der Bericht zu der Observation wurde in Niedersachsen wie gesetzlich vorgeschrieben nach drei Jahren gelöscht.

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Die Behörden in Thüringen hatten den Bericht bis heute bewahrt. Nach einer Anfrage des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei dieser nun auch an Niedersachsen übermittelt worden. Schünemann kündigte eine umfangreiche Aufklärung zu dem Vorfall an. Er habe Wargel gebeten, "alle Erkenntnisse in diesem Zusammenhang zusammenzutragen und minutiös aufzuarbeiten.“

Hintergrund: Verfassungsschutz in Niedersachsen nicht das erste Mal in der Kritik

Die im Zusammenhang mit dem Rechtsterrorismus nun bekannt gewordene Panne beim niedersächsischen Verfassungsschutz ist nicht die erste bei der Behörde in Hannover. 1978 sorgte ein vom Verfassungsschutz fingierter Bombenanschlag auf das Celler Gefängnis für Schlagzeilen. Bekannt wurde die Geschichte unter dem Namen "Celler Loch“.

Am 25. Juli 1978 um 02.45 Uhr hatte die GSG 9 im Auftrag des niedersächsischen Verfassungsschutzes das Loch in die Gefängnismauer gesprengt. Damit sollte der Versuch einer Befreiung des RAF-Mitglieds Sigurd Debus vorgetäuscht werden. Die Sprengung sollte zwei Schwerkriminellen, die als V-Leute für den Verfassungsschutz arbeiteten, Zugang zu Kreisen der RAF verschaffen, was allerdings misslang.

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Der Verfassungsschutz soll damals einen gestohlenen Mercedes mit Munition und gefälschten Pässen präpariert haben, darunter auch ein Pass mit dem Foto von Debus. Vordrucke und Dienstsiegel stammten aus Einbrüchen bei Behörden.

Der ehemalige Leiter der JVA Celle, Paul Kühling, war genauso wie der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) vorab über den Anschlag informiert worden.

Debus wurde 1979 in die JVA Hamburg-Fuhlsbüttel verlegt. Nachdem dort Anträge auf Hafterleichterungen für ihn abgelehnt wurden, beteiligte er sich an einem Hungertstreik der RAF-Gefangenen, an dessen Folgen er schließlich am 16. April 1981 starb. (dapd)