Seit Monaten ringen Atomlobby, Energiepolitiker und Umweltschützer um Laufzeitverlängerung und Atomsteuer. Aber wer will eigentlich was?

Hamburg. Im September will die Bundesregierung ihr Energiekonzept vorstellen. Doch die Debatte ist unübersichtlich: Mal werden längere Laufzeiten von zehn, zwölf oder 15 Jahren gefordert, mal ist die Rede von einer Brennelementesteuer, dann wieder von einer Sonderabgabe. Die Gräben laufen zum Teil quer durch die Parteien. Das Abendblatt zeigt die wichtigsten Akteure und ihre Absichten.

Jürgen Großmann ist Chef des Energieriesen RWE und Mitinitiator einer bundesweiten Anzeigenkampagne, mit der die Regierung vor zu starken Belastungen der Energieversorger gewarnt wird. Die Branche ist strikt gegen eine Brennelementesteuer und strebt stattdessen eine Vertragslösung mit der Politik an. Dabei wollen die Atomkonzerne einen Teil ihrer durch längere Laufzeiten erzielten Gewinne in einen Fonds einzahlen - aber nur, wenn die Reaktoren zusätzliche 15 Jahre am Netz bleiben dürfen. Angeblich verhandeln die Konzerne auch mit dem Finanzministerium über eine Abgabe von 30 Milliarden Euro, für die sie eine Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren und einen Verzicht auf eine Brennelementesteuer verlangen.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappu s ist einer der größten Fürsprecher der Atombranche innerhalb der Union. In seinem Land stehen - nach Bayern - die meisten Atomkraftwerke. Der CDU-Politiker fordert den Atomfonds und eine Verlängerung der Laufzeiten von 15 Jahren oder mehr. Mappus' Kurs wird auch von Bayern und dem Wirtschaftsflügel der Union unterstützt. In der Union gibt es Hoffnungen, dass bei einer Vertragslösung zwischen Regierung und Unternehmen der Bundesrat umgangen werden könnte, da Schwarz-Gelb dort nicht über die notwendige Mehrheit verfügt.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ist der Gegenpart zu Mappus und forciert einen baldigen Ausstieg aus der Atomkraft. Er ist gegen den "Deal" mit der Atomindustrie und favorisiert im Gegenzug für längere Laufzeiten eine Brennelementesteuer, die pro Jahr 2,3 Milliarden einbringen soll. Anders als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will Röttgen das Geld nicht nur für die Konsolidierung des Haushalts verwenden, sondern zu großen Teilen für den Ausbau der erneuerbaren Energien - wie es auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Nach Ansicht Röttgens darf eine Laufzeitverlängerung nur "moderate" Ausmaße haben, da sonst der Bundesrat zustimmen müsste. Laut zweier Gutachten sind unter "moderat" maximal zehn Jahre zu verstehen. Röttgen wird von Niedersachsen, Thüringen und Sachsen unterstützt.

Was Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) genau will, verkündet sie erst im September. Sie sieht die Atomenergie als Brückentechnologie, aus der Deutschland aussteigen soll - ohne einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. Im ZDF sagte sie, "selbstverständlich" werde die umstrittene Belastung der Atomwirtschaft von jährlich 2,3 Milliarden Euro kommen, wohl in Form einer Brennelementesteuer, "solange kein anderer Vorschlag auf dem Tisch ist". Laut "Rheinischer Post" ist eine weitere Abgabe zum Ausbau der erneuerbaren Energien im Gespräch.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zeigt sich offen für Alternativen zur geplanten Brennelementesteuer. Sicher sei aber, dass die Betreiber von Atomanlagen in den kommenden Jahren jeweils 2,3 Milliarden Euro an den Bund abführen sollten. Brüderle schweben um 15 bis 20 Jahre längere Laufzeiten vor. In seiner Partei gibt es dagegen noch keine einheitliche Linie: Parteichef Guido Westerwelle geht von einer Laufzeitverlängerung um zehn bis 15 Jahre aus und ist mit der Abgabe von 2,3 Milliarden Euro zufrieden. In der Bundestagsfraktion dagegen gibt es - ähnlich der Union - Stimmen, die zusätzlich zur Steuer Sonderabgaben für die Erneuerbaren verlangen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Regierung aufgefordert, nach der Anzeigenkampagne der Industrie die Atomverhandlungen mit den Stromkonzernen sofort abzubrechen. "Es gibt nichts zu verhandeln", betonte der SPD-Vorsitzende. Die Unternehmen müssten vielmehr für ihre Hinterlassenschaften in den maroden Endlagern zahlen. Die Sozialdemokraten haben genauso wie die Grünen bereits eine Klage vor dem Verfassungsgericht angedroht, falls eine Verlängerung am Bundesrat vorbei geschehen oder die Regierung mit den Energieversorgern einen Vertrag am Parlament vorbei beschließen sollte.

Der heutige Grünen-Fraktionschef Jürgen Tritti n brachte im Jahr 1998 die Zäsur in der deutschen Energiepolitik. Als Umweltminister der Grünen handelte er den Atomausstieg der rot-grünen Regierung mit der Industrie aus. Wie die gesamte Spitze der Grünen kündigte auch Trittin an, eine Laufzeitverlängerung nach der nächsten Bundestagswahl rückgängig zu machen. Für ihn steht fest: Deutschland produziere jetzt schon mehr Strom, "als wir brauchen".

Tobias Münchmeyer, Atom-Experte bei Greenpeace , steht an der Spitze der Bewegung der Kernkraft-Gegner. Er fordert eine Brennelementesteuer für die Konzerne von 2,5 Cent pro Kilowattstunde - statt der bisher geplanten 1,5 Cent. Das brächte dem Staat 3,5 Milliarden Euro im Jahr. Anfang der Woche hat Greenpeace Klage gegen Wirtschaftsminister Brüderle eingereicht. Er halte einen Bericht an die EU über die Energieversorgung Deutschlands zurück. Der Vorjahresbericht zeige, dass auch bei einem Atomausstieg die Versorgung nach 2020 gesichert sei.