Greenpeace projiziert einen Schriftzug an den Kühlturm. Die Bundesregierung soll bei Zahlen zu Öko-Strom und Brennelementesteuer getrickst haben.

Lingen/Berlin. Diese Energiereise hatte sich die Bundeskanzlerin anders vorgestellt. Erst die Windkraftanlagen in „ihrem“ Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, dann ein Abstecher zum Atomstrom – und schließlich wieder Besuche bei alternativen Stromerzeugern. Das hätte ein tolles Programm werden können, um das neue Energiekonzept der Bundesregierung einzuleiten, das im September vorgestellt werden soll. Doch es kam anders.

Mitten im heftig tobenden Streit um eine Atomsteuer und die Verlängerung der Atomkraftwerk-Laufzeiten hat Angela Merkels Besuch im niedersächsischen Lingen einen ebenso heftigen Protest ausgelöst. Gemeinsam mit dem Chef des Energiekonzerns RWE, Jürgen Großmann, besichtigt sie den Meiler, der vor 22 Jahren ans Netz ging. Begleitet wurde die Kanzlerin auch von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU).

Umweltschützer demonstrierten in der Nähe mit zahlreichen Traktoren gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Regierung. Proteste gab es auch schon vor Merkels Ankunft. Die Polizeiinspektion Emsland teilte mit, zehn Greenpeace-Aktivisten hätten die Worte „Atomkraft ist ein Irrweg, Frau Merkel!“ an den Kühlturm des Atomkraftwerks projiziert.

Die Bundesregierung nimmt in ihren Modellen für längere Atomlaufzeiten voraussichtlich niedrigere Ziele für den Anteil an Ökostrom an als bisher geplant. Das geht nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus einem Zwischenbericht der Gutachter für die Energieszenarien hervor. Während der Nationale Aktionsplan für erneuerbare Energie einen Öko-Stromanteil von 38,6 Prozent für 2020 anpeilt, geht die Regierung im Zwischenbericht in zwei Modellen von rund 35 Prozent aus und in einem Vergleichsmodell ohne längere Laufzeiten von rund 34 Prozent.

Das Kabinett hatte den Aktionsplan Anfang August beschlossen. Greenpeace-Energieexperte Andree Böhling kritisierte: „Unglaublich, wie die Bundesregierung an den Zahlen herumfummelt, um ihre Laufzeitverlängerung zu rechtfertigen.“

Der Interims-SPD-Fraktionschef Joachim Poß kritisierte die „Energie-Reise“ der Kanzlerin in den „Ruhr-Nachrichten“ als „reine Showveranstaltung“. Röttgen forderte derweil in der ARD-Sendung „Hart aber fair“, dass die Brennelementesteuer auch für die Sanierung des Atommülllagers Asse in Niedersachsen verwendet wird. „Der eine Verwendungszweck: Die Brennelementesteuer dient der Sanierung Asse, eines gescheiterten, maroden Endlagers.“ Außerdem solle die geplante Steuer der Konsolidierung des Bundeshaushalts dienen. Das ist im Gesetzentwurf für die Brennelementesteuer vereinbart. Das Kabinett berät am 1. September über eine Abgabe in Höhe von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr für die Atomwirtschaft.