CDU-Ministerpräsident Tillich über das Ende der Rentengarantie, gefährliche Schulreformen und die Personalnöte der Union.

Zuerst fragt man sich, ob es der sächsische Ministerpräsident Tillich lieber schlicht mag: Alle Wände in seinem Büro sind kahl und weiß. Dann fällt der leichte Farbgeruch auf, und auch die Schränke und Stühle auf dem Flur ergeben einen Sinn: Die altehrwürdige sächsischen Staatskanzlei am Ufer der Elbe wird gerade renoviert.

Hamburger Abendblatt:

Herr Ministerpräsident, im Gegensatz zu vielen anderen Ministerpräsidenten der Union haben Sie sich in bundespolitischen Streitfragen bislang sehr zurückgehalten. Sind Sie amtsmüde?

Tillich:

Im Gegenteil. Aber ich melde mich nur zu Wort, wenn ich etwas zu sagen habe oder wenn es um die Interessen des Landes Sachsen geht. Ich gedenke nicht, jede Handlung der Koalition in Berlin zu kommentieren.

Ihr Hamburger Amtskollege Ole von Beust war dagegen amtsmüde und ist zurückgetreten. Was halten Sie von diesem Schritt?

Ich wusste schon vorher, dass Ole von Beust mit dem Gedanken spielt, etwas anderes zu machen, insofern kam seine Entscheidung für mich nicht überraschend. Den Zeitpunkt für diesen Schritt kannte ich allerdings nicht.

Wie stehen Sie denn zu dem Rücktritt?

Ich kann das nachvollziehen, wenn jemand sagt: 'Ich habe mich fast zehn Jahre in den Dienst der Stadt gestellt, und jetzt sollen andere weitermachen, die neue und frische Ideen haben.' Ich kann aber auch nachvollziehen, wenn jemand einfach etwas Neues machen will. Man kann ja auch nicht ewig Ministerpräsident sein.

Wenn Sie nicht jede Handlung von Schwarz-Gelb in Berlin kommentieren wollen, bedeutet das, dass Sie mit der Politik der Bundesregierung grundsätzlich einverstanden sind?

Das Wichtigste ist, dass es Schwarz-Gelb in ruhigeres Fahrwasser schafft, um seine Politik umzusetzen. Bei Rot-Grün brachte mich damals schier zur Verzweiflung, dass jeder Vorschlag sofort öffentlich diskutiert wurde. Wir müssen aufpassen, dass wir in unserer Partei nicht das Gleiche tun. Trotzdem ist es sicher gut, kritisch zu sein. Ich habe mich kürzlich auch zur Gesundheitsreform geäußert.

Sie haben Nachbesserungen verlangt. Wo denn genau?

Es gibt nach wie vor eine Übereinkunft, die die Honorare der Ärzte in Baden-Württemberg und in Bayern besserstellen als im Rest der Republik. Wie soll ich meinen Ärzten erklären, dass es in Dresden billiger ist, eine Spritze zu setzen als in Stuttgart oder München?

Ist das Ihr einziger Kritikpunkt an der Reform?

Wenn man schon bundesweit einheitliche Beitragssätze festlegt, dann müssen effizientere Krankenkassen ihren Wettbewerbsvorteil ausspielen können. Den defizitären Krankenkassen darf nicht mit Steuermitteln ausgeholfen werden. Anstrengungen müssen auch belohnt werden. Außerdem: Nicht die Einnahmen sollten ständig steigen, sondern wir müssen runter von den hohen Ausgaben.

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat vorgeschlagen, die Rentengarantie aufzuheben. Ist das auch ein Punkt, an dem Sie Einspruch erheben?

Die Rentengarantie ist eingeführt worden, um bei sinkenden Löhnen sinkende Renten zu vermeiden. Das ist immer eine temporäre Maßnahme gewesen. Angesichts einer alternden Bevölkerung müssen wir darüber diskutieren, ob wir eine Grundrente brauchen, die vollständig durch Steuern finanziert ist.

Was heißt das für die Rentengarantie?

Eine Rentengarantie wird es auf Dauer so nicht mehr geben, weil die jungen Menschen nicht auf Dauer derart belastet werden können. Wir haben aber das gemeinsame Ziel, dass die Menschen ihren erworbenen Rentenanspruch auch bekommen.

Sie werden seit Längerem als möglicher Parteivize der CDU gehandelt. Werden Sie kandidieren?

Ich habe keinen Anlass, meinen Hut in den Ring zu werfen. Es gibt Kollegen, die mehr Ostdeutsche in den Parteigremien fordern. Das sehe ich nicht so: Bundeskanzlerin Merkel ist als Parteichefin eine der besten Vertreterinnen Ostdeutschlands in der Spitze der CDU.

Angela Merkel sind in den letzten Wochen zahlreiche prominente Führungskräfte in der Union abhandengekommen. Wer soll die Lücken schließen?

Die Lücken sind geschlossen. Die Modernität der CDU bekommt zusätzlichen Schub durch junge Gesichter wie David McAllister und Stefan Mappus. Aber wir müssen auch darauf achten, dass wir Volkspartei bleiben. Die konservativen Wähler dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.

Eine Umfrage sagt, dass eine konservative Partei rechts von der Union 20 Prozent der Stimmen gewinnen könnte. Ist die CDU zu weit in die Mitte gewandert?

Nein, aber wir müssen die konservativen Ideale in der Partei stärken. Dazu zählt die Eigenverantwortung der Menschen innerhalb der sozialen Marktwirtschaft. Übrigens ist auch die Wehrpflicht eines dieser Ideale ...

... die jetzt ausgerechnet ein Unionsminister aussetzen will.

Man kann den Diskurs um die Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht nicht im Zuge einer Haushaltsdebatte führen. Wir müssen uns, auch innerhalb der Union, dafür Zeit nehmen, denn die Entscheidung über die Zukunft der Bundeswehr wird national, aber auch international eine Wirkung entfalten.

Die Union würde die Wehrpflicht also behalten, kann es sich aber nicht leisten?

Es geht um mehr als eine finanzielle Frage. Ist eine reine Berufsarmee ein zukunftsfähiges Projekt für Deutschland? Ich meine: Nein. Der ständige Austausch der Wehrpflichtigen mit und aus der Gesellschaft ist von zentraler Bedeutung. Einer Berufsarmee würde diese Kommunikation mit den Menschen in Deutschland fehlen. Außerdem kann die Wehrpflicht jungen Menschen Appetit machen auf die Bundeswehr und sie als Zeitsoldaten gewinnen.

Haben Sie auch Angst um Standorte in Sachsen?

Der Bund darf nicht dazu beitragen, dass junge Menschen unser Land verlassen. Wenn sie sich als Soldaten verpflichten, wohnen sie hier und gründen Familien. Das soll so bleiben.

Dieses Jahr feiern wir 20 Jahre Vereinigung. In Sachsen nimmt die Arbeitslosigkeit trotz Wirtschaftskrise langsam ab, auch die Abwanderung geht zurück. Wie lange wird der Osten noch auf Geld aus dem Länderfinanzausgleich und aus dem Solidarzuschlag Ost angewiesen sein?

Bei den Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich 2019 werden wir mit Sicherheit zu dem Ergebnis kommen, dass die Finanzierung der Länder nicht länger auf den Schultern von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen lasten kann. Es muss eine gerechtere Aufteilung der Kosten geben.

Und wie soll es mit dem Solidarpakt weitergehen?

Den Solidarpakt wird es nach 2019 sicher nicht mehr geben. Stattdessen kann ich mir eine regionale Förderung vorstellen, die Projekte in der nördlichen Oberpfalz genauso unterstützt wie andere strukturschwache Regionen wie bei uns in der Oberlausitz oder in der Lüneburger Heide. Wir müssen wegkommen von einer Solidarität, die sich an Himmelsrichtungen orientiert. Sie muss sich stattdessen nach dem Bedarf richten.

Ihr neuer Amtskollege könnte in Hamburg bald Christoph Ahlhaus heißen. Was würden Sie ihm mit auf den Weg geben?

Dass er die erfolgreiche Politik von Ole von Beust fortsetzt. Beust hat seiner Partei die Mehrheit verschafft in einer Stadt, die lange Zeit von der SPD regiert wurde. Auch die Zusammenarbeit der CDU mit den Grünen hat ihren Reiz und funktioniert.

Mit Verlaub: Schwarz-Grün ist gerade bei den Bürgern mit der Schulreform gescheitert.

Am Ende ist die Entscheidung der Bürger richtig gewesen. Wir haben in Sachsen seit 20 Jahren ein erfolgreiches zweigliedriges Schulsystem. Unser Erfolg bei PISA gibt uns recht. Entscheidend ist, dass wir nicht auf zulasten der Kinder herumexperimentieren. Wichtig ist aber auch, dass das Abitur in ganz Deutschland vergleichbar ist. Wir brauchen Prüfungen, die von Hamburg bis Berchtesgaden gleich viel wert sind.

Beendet die Niederlage beim Volksentscheid in Hamburg dauerhaft schwarz-grüne Gedankenspiele im Bund?

Als Demokrat sollte man so klug sein und keine Option ausschließen. Die Grünen haben bei der Haushaltspolitik durchaus bewiesen, dass sie regierungsfähig sind. Aber ich glaube, es gibt zur Union noch zu große Unterschiede in der Außen- und Verteidigungspolitik.

Unterschiede gibt es doch vor allem in der Energiepolitik. Sind Sie wie Ihre süddeutschen Amtskollegen in der Union auch für die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken?

Ich bin entschieden für niedrigere Energiekosten. Aber eine Verlängerung der Laufzeiten sehe ich kritisch. Als sächsischer Ministerpräsident bin ich stattdessen stark dafür, dass wir den einzigen heimischen Energielieferanten, den wir haben, die Kohle, stärker nutzen.

Wir müssen mehr auf Kohle setzen, obwohl dieser Energieträger der Klimasünder Nummer eins ist?

Die Kohle ist weltweit der wichtigste Energieträger, und wir haben in Deutschland das Know-how, um sie umweltverträglich zu nutzen. Alle Welt arbeitet daran, CO2 unterirdisch oder mithilfe von Bakterien oder Algen zu entsorgen, allein wir trauen uns das nicht. Ich halte diese "Endlager"-Debatte für falsch.

Sie wären also bereit, CO2 in großem Maßstab ins sächsische Erdreich zu verpressen?

Ja, wenn die geologischen Formationen dazu passen. Wir haben ja Erdgas-Lagerstätten, da könnte man das CO2 speichern. Das stört bislang niemanden, warum dann bei CO2?