Sie wertet die Ablehnung der Schulreform als positives Signal für die Bildungspolitik. Doch die Grünen-Expertin Krista Sager attackiert Schavan.

Berlin. Annette Schavan sagte im ARD-„Morgenmagazin“: „Es ist eine gute Nachricht für das Gymnasium. Es ist eine gute Nachricht für das Selbstbewusstsein der Bürger. Und vielleicht ist es auch ein Impuls dafür, dass jetzt über die wirklich wichtigen Fragen des Bildungssystems nachgedacht wird und nicht jede Landesregierung findet, in dem Moment, an dem sie an der Regierung ist, könne sie die Schulstruktur ändern."

Primarschule gescheitert: So geht es in Hamburg weiter

Die Bürger seien es satt, „dass ständig an den Schulstrukturen herumgedoktert wird“, sagte Schavan. „Vor allen Dingen ist in Hamburg der Eindruck erweckt worden, das Gymnasium sei Schuld an den Schwachstellen im Bildungssystem. Das war falsch und deswegen ist es so ausgegangen.“ Die Länder müssten sich auf die Eckdaten des Bildungssystems verständigen. „Deshalb finde ich, dass Hamburg jetzt das richtige Signal ist, um in Deutschland zwischen den Ländern und auch zwischen Bund und Ländern Verständigung zu erzielen und dafür zu sorgen, dass es auch bei den Schulabschlüssen mehr Vergleichbarkeit gibt.“ Föderalismus heiße auch, „Mobilität zu ermöglichen und für Vergleichbarkeit zu sorgen“, sagte die Ministerin.

Die Grünen-Politikerin Krista Sager, früher Zweite Bürgermeisterin in Hamburg und nach wie vor Bundestagsabgeordnete, hat die Bildungspolitik von Schavan scharf kritisiert. Es sei „ein Treppenwitz der Geschichte, dass diejenigen, die bisher am lautesten für die Kleinstaaterei bei der Bildung und am leidenschaftlichsten für den Wettbewerbsföderalismus bei den Schulsystemen eingetreten sind, nun dem Rest der Republik Bewegungslosigkeit verordnen wollen“, sagte die Expertin für Wissenschafts- und Forschungspolitik. Nach wie vor seien Bildungschancen in Deutschland sehr stark von der sozialen Herkunft abhängig. Dies werde durch konservative Bildungspolitik noch verstärkt. Sager warf Schavan vor, sie habe sich an der Frage vorbeigedrückt, wie das Schulsystem sowohl leistungsfähiger als auch gerechter gestaltet werden könne.

Die Schulreformgegner hatten sich am Sonntag im Hamburger Volksentscheid gegen die Einführung sechsjähriger Primarschulen klar durchgesetzt. Eine große Mehrheit der Bürger folgte dem Vorschlag der Reformgegner um die Initiative „Wir wollen lernen“, die die vierjährigen Grundschulen beibehalten wollen. Hierfür stimmten 276 304 Bürger, nur 218 065 sprachen sich für die von allen Parlamentsparteien beschlossenen sechsjährigen Primarschulen aus. Ein wichtiger Teil der schwarz-grünen Schulreform ist damit gescheitert.

Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Montag), die von den Grünen favorisierte Schulpolitik habe „einen ganz erheblichen Dämpfer erhalten. Insofern ist das Ergebnis weit über Hamburg hinaus bedeutsam. Denn in jedem Landtagswahlkampf spielt die Bildungspolitik eine große Rolle.“

Das Votum der Hamburger gegen eine verlängerte Grundschulzeit kommt nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, einer bürgerlichen Revolte gleich. „Ich begrüße diese außerordentlich“, sagte Kraus zu „Handelsblatt Online“. Einmal mehr habe sich hier die Politik in einer Art Allfraktionen- Koalition gegen den Willen des Volkes gestellt. „Verlierer ist vor allem die CDU, deren Bildungspolitik in ihrer Beliebigkeit und Profillosigkeit ohnehin zu ihrer offenen Flanke geworden war.“ Gewinner seien die Kinder, die auch zukünftig bereits ab der fünften Klasse eine ihren Fähigkeiten entsprechende Differenzierung erfahren dürften. Kraus äußerte die Hoffnung, „dass die überflüssigen Debatten um eine verlängerte Grundschule nun endlich verstummten“.

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik warf dem Hamburger Senat vor, den Widerstand gegen die Primarschule in der Hansestadt unterschätzt zu haben. Er sagte am Montag im Deutschlandradio Kultur, die schwarz-grüne Koalition sei zu ungeduldig bei der Einführung der sechs Jahre dauernden Grundschule gewesen. Sie habe offenbar auch nicht mit dem Ausmaß an Widerstand gerechnet, der ihr im bürgerlich geprägten Hamburg entgegenschlagen sei.

Brumlik griff zugleich das Abstimmungsverhalten der Eltern an, die sich gegen die vom Senat favorisierte Primarschule ausgesprochen hatten. Es habe eine massive Form von „demokratisch geführtem Klassenkampf um der Vorteile des eigenen Kindes willen“ gegeben. Das Unfaire sei, dass die Eltern jener Kinder, die von der Reform profitiert hätten, entweder Ausländer ohne Wahlrecht seien oder aufgrund der eigenen Unbildung nicht in der Lage gewesen seien, sich an einem so komplizierten Verfahren zu beteiligen. Brumlik führte das Ergebnis des Volksentscheids auf die Angst vor dem Verlust sozialer Privilegien zurück.