Kommentar: Neuer Bundestag

Das Herz der Demokratie ist nicht die Regierung, das Herz der Demokratie schlägt im Parlament. Es ist gut, daß der neue Bundestagspräsident Lammert dies in seiner Antrittsrede gestern sehr deutlich machte und ebenso unmißverständlich zum Ausdruck brachte, daß das Parlament nicht das Vollzugsorgan der Regierung ist, sondern deren Auftraggeber.

Denn das Volk wählt nun mal keine Regierung, es wählt ein Parlament. In den vergangenen Jahren geriet dieser Aspekt zu sehr in den Hintergrund. Der schleichende Bedeutungsverlust des Parlaments schien unübersehbar, obwohl die rot-grüne Regierung immer häufiger um ihre Mehrheit zittern mußte. Um so wichtiger ist es, daß der Bundestag sich gerade jetzt, wo sich eine große Koalition anbahnt, seiner Verantwortung und Rolle sehr bewußt wird. Die kleinen Fraktionen allein wären überfordert mit der Aufgabe, eine solche große Koalition zu kontrollieren. Auch die Mehrheitsfraktionen sind also jetzt in der Pflicht. Sie dürfen nicht nur willige Abnicker von Regierungsentscheidungen spielen.

Viele Illusionen sollte sich aber keiner machen. Denn schon gestern zeigte sich auch parlamentarischer Kleingeist. Daß SPD und Union ihre übergroße Mehrheit gleich nutzten, um den Sozialdemokraten einen weiteren Posten im Bundestagspräsidium zuzuschanzen, ist billig. Und daß das Parlament Lothar Bisky nicht zum Vizepräsidenten wählte, obwohl jeder Fraktion ein solcher Posten zusteht, ist kleinkariert. Man muß die demokratisch gewählte Linkspartei nicht mögen, man mag sie bekämpfen. Aber Demokraten sollten sie fair und den Regeln entsprechend behandeln. Diese Größe fehlte dem Bundestag gestern.