„Es werden Köpfe rollen“ – das beteuern zumindest die Pakistaner. Das Video von Bin Laden zeigt einen Terrorpaten, der beinahe Mitleid verdient.

Washington. Barack Obama machte keine großen Umschweife: „Das waren die längsten 40 Minuten meines Lebens.“ Der US-Präsident bekannte in einem Interview des Fernsehsenders CBS, dass ihn die Kommandoaktion gegen Osama Bin Laden persönlich sehr mitgenommen hat. Nur als seine kleine Tochter Sasha im Alter von drei Monaten Meningitis hatte, sei er ähnlich angespannt gewesen. Obama sagte aber auch, nach den tödlichen Schüssen der Navy Seals wolle er endlich wissen, wer vom Aufenthalt des Terrorchefs in Pakistan wusste. Das Video der Traditionssendung „60 Minutes“ finden Sie hier .

Die pakistanische Regierung in Islamabad solle bei der Aufklärung helfen. Obama sagte, er habe die Operation angeordnet, weil er der Ansicht gewesen sei, dass die Chance, Bin Laden „endlich zu kriegen“, größer sei als die Risiken. Er sei zwar wegen des Ausgangs der Aktion nervös gewesen. Wegen der Möglichkeit, dass Bin Laden dabei getötet werden könnte, habe er sich aber keine Gedanken gemacht. Jeder, der daran zweifle, dass der Al-Qaida-Führer sein Schicksal verdient habe, „muss seinen Kopf untersuchen lassen“, sagte Obama.

Bin Laden müsse in Pakistan eine Art Netzwerk gehabt haben, das ihn unterstützte, erklärte der US-Präsident. Andernfalls hätte er nicht über Jahre in Abbottabad leben können, einer Stadt mit zahlreichen Militäreinrichtungen. Ob unter den Unterstützern Personen innerhalb oder außerhalb der Regierung gewesen seien, wisse er nicht, sagte Obama. Die USA wollten dazu weiter ermitteln, „und, was noch wichtiger ist, die pakistanische Regierung muss ermitteln“.

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Von direkten Beschuldigungen gegenüber Islamabad sah Obama ab. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sei Pakistan ein starker Partner im Kampf gegen den Terror gewesen, sagte er. Zu den Einzelheiten der Kommandoaktion äußerte sich der Präsident in dem Interview nur zurückhaltend, Neues über die bereits öffentlich bekannten Details hinaus teilte er nicht mit.

An diesem Montag will sich Pakistans Premier Yousuf Raza Gilani im Parlament in Islamabad zu dem US-Einsatz gegen Bin Laden äußern. Seine Regierung ist wegen des eigenmächtigen Vorgehens der USA auf pakistanischem Territorium unter innenpolitischen Druck geraten. Gilani wird vorgeworfen, die Souveränität seines Landes nicht geschützt zu haben. Selbst aus der eigenen Volkspartei PPP gibt es Rücktrittsforderungen an ihn und Präsident Asif Ali Zardari. Obama lobte in dem Interview die bisherige Zusammenarbeit mit den pakistanischen Behörden. „Wir haben nirgendwo so viele Terroristen getötet wie auf pakistanischem Boden, und das wäre ohne pakistanische Hilfe nicht möglich gewesen“, erklärte er. Anhand des gefundenen Materials gehe er davon aus, dass die USA die Taliban im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet besiegen könnten.

Im Zusammenhang mit dem jahrelang angeblich unentdeckt gebliebenen Versteck Bin Ladens hat der pakistanische Botschafter in den USA personelle Konsequenzen in seiner Heimat angekündigt. „Es werden Köpfe rollen, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist“, sagte Husain Haqqani dem US-Sender CNN. „Und wenn – Gott bewahre! – jemandem Komplizenschaft nachgewiesen wird, gibt es auch dafür null Toleranz.“ Pakistan wolle sämtliche „Bedenken der Welt“ über die Rolle des Landes im Fall Bin Laden ausräumen, ergänzte Haqqani. Demnach werden dazu die nach dem US-Spezialeinsatz vor einer Woche festgenommenen Menschen derzeit verhört, darunter auch drei Ehefrauen des getöteten Terrorchefs. Der Frage, ob Islamabad auch US-Agenten Zugang zu den Gefangenen gewähren werde, wich der pakistanische Botschafter aus.

Obama ließ am Sonnabend Osama noch einmal lebendig über die Bildschirme flimmern – und erreichte damit vor allem eins: Die Galionsfigur des Terrors ist entmystifiziert. Osama Bin Laden hat den Amerikanern ihre Trophäe selbst geliefert. „Das Bild, das sich den Menschen eingräbt, wird das eines alten, einsamen Mannes sein“, so eine Kommentatorin im Fernsehsender CNN.

Da sitzt er. Alt, grau und gebeugt. Fast bemitleidenswert. Um die Schultern eine Decke, eine Wollmütze krönt das schmale Gesicht. In einem schäbigen Raum mit nackten Wänden und herabhängenden Kabeln. Der alte Mann und sein Fernseher. Die Fernbedienung legt er nicht mehr aus der Hand. Sie ist seine Verbindung zur Welt. Doch darin betrachtet er am liebsten nur sich selbst. „Wie ein alternder Schauspieler, der von seinem Comeback träumt“ schrieb die „New York Times“. Und drückte aus, worin sich die US-Medien einig waren: Mit dem Griff in die Trickkiste hat die Obama-Regierung nicht nur den Triumph ihrer Geheimdienste gefeiert. Sie hat Bin Ladens Bild für die Nachwelt gestürzt. Der Al-Qaida-Chef sollte darin nicht als mächtiger Märtyrer eingehen, „sondern als Medienfigur, die sich selber kreiert hat“, so die Internetzeitung „politico.com“. Ein Blogger schrieb auf der Webseite von CNN: „Wer auch immer die Idee hatte, diese Videos anstatt Osamas Leiche zu zeigen – er hat eine Gehaltserhöhung verdient.“

Mit Material von dpa, dapd, AFP, rtr