Massenflucht von Libyern und Ausländern vor dem blutigen Revolutions-Chaos, Gaddafi-Schergen und Söldner verüben Massaker an Zivilisten.

Hamburg. Der Terror der Schergen des bedrängten libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi hat eine Massenflucht aus dem nordafrikanischen Land in die arabischen Nachbarländer und Richtung Europa ausgelöst. Möglicherweise sind bereits mehr als 2000 Menschen bei den Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Augenzeugen berichteten aus der Hauptstadt Tripolis, bewaffnete Gaddafi-Anhänger feuerten auf alles, was sich bewegt, Frauen würden von Vermummten vergewaltigt. Von den Häuserdächern schössen schwarzafrikanische Söldner auf die Menschen. "Ich habe ein Massaker gesehen", sagte eine Frau, die nach Tunesien fliehen konnte.

Italiens Außenminister Franco Frattini hat bereits die Schreckensvision eines "biblischen Exodus" verzweifelter Menschen aus Libyen an die Wand gemalt. Für den Fall des Sturzes von Machthaber Muammar al-Gaddafi erwarte er bis zu 300 000 Flüchtlinge nach Europa aus dem nordafrikanischen Land, sagte Frattini der Zeitung "Corriere della Sera". Und selbst diese Schätzung sei noch tief angesetzt.

Schon nach dem Umsturz in Tunesien waren Tausende Menschen über das Mittelmeer auf die winzige italienische Insel Lampedusa geflüchtet. Viele von ihnen wurden auf das Festland transportiert und in Lager gebracht.

Indessen scheint Gaddafi zwar immer mehr Rückhalt in Libyen zu verlieren, aber entschlossen zu sein, sein eigenes Volk mit in den Abgrund zu reißen. Aus Tripolis verlautete gestern, der Diktator habe sich mit vier ihm treu ergebenen Brigaden in dem riesigen Kasernenkomplex Bab al-Asisiya in der Hauptstadt verschanzt.

Der Korrespondent des US-Nachrichtenmagazins "Time" und des Senders CNN berichtete, Gaddafi habe noch die Loyalität seines eigenen Stammes, der Qadadfa, sowie die von rund 5000 Mann seiner Elitetruppen. Alle Offiziere seien handverlesen und ihm ergeben. Unter ihnen sei die 32. Brigade unter Befehl seines Sohnes Khamis. Insgesamt umfasse die libysche Armee rund 45 000 Soldaten. Gaddafi wisse, dass er mit diesen Kräften die Rebellion nicht mehr niederschlagen könne - vor allem nicht mehr im abtrünnigen Osten - aber er sei damit noch stark genug, um die Rebellen in den abtrünnigen Stämmen und in den Streitkräften ihren Verrat bereuen zu lassen. Gaddafi habe zum Beispiel angeordnet, die militanten Islamisten unter den Gefängnisinsassen freizulassen, um das Chaos im Lande noch zu vergrößern.

Zudem soll er den Sicherheitskräften den Auftrag gegeben haben, Ölanlagen zu sabotieren und Pipelines zu sprengen, um den Ölfluss Richtung Mittelmeer zu unterbrechen. Das Öl ist ein wichtiges Faustpfand der Stämme. Gaddafis Botschaft sei eindeutig: Entweder ich oder das Chaos in Libyen.

Hadi Schaluf, ein libysch-französischer Anwalt am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, sagte dem Sender al-Arabija, nach seinen Informationen seien bis zu 35 000 Söldner vor allem aus Schwarzafrika im Einsatz, die Gaddafi angeheuert habe.

Yehudit Ronen, Libyen-Expertin an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan bei Tel Aviv, sagte "Spiegel Online", Gaddafi habe sich militärisch auf diesen Tag gut vorbereitet. In den vergangenen Jahren seien allein zwei Millionen irreguläre Migranten aus den Staaten südlich der Sahel-Zone in das vergleichsweise reiche Libyen gekommen. Das Regime in Tripolis habe viele von ihnen vor die Wahl gestellt: entweder sofortige Deportation oder Eingliederung in Gaddafis Fremdenlegion. Andere Afrikaner hätten sich freiwillig in dieser Truppe verdingt, da sie die einzige Möglichkeit des Gelderwerbs für sie darstelle. Ein Teil dieser Ausländertruppe sei von Gaddafi-Gegnern allerdings nun eingeschlossen und kämpfe um sein Leben. Es hat Berichten nach bereits etliche Lynchmorde an schwarzafrikanischen Söldnern gegeben. Andererseits sind Ägypter und Tunesier ins Fadenkreuz der Gaddafi-Schergen geraten: Das Regime nimmt Ägypten und Tunis die erfolgreichen Umstürze übel.

Ein libysches Kampfflugzeug stürzte südwestlich von Bengasi ab, nachdem die Piloten einen Befehl zur Bombardierung der Stadt verweigert hatten und mit den Schleudersitzen ausgestiegen waren. Das berichtet die libysche Zeitung "Qurina" auf ihrer Website.

In Bengasi und Tobruk im abtrünnigen Osten soll es bereits zu Sieges- und Freiheitsfeiern von Gaddafi-Gegnern gekommen sein.

Libyens stellvertretender Botschafter bei den Vereinten Nationen, Ibrahim Dabbashi, der sich vom Regime losgesagt hat, sprach im Uno-Sicherheitsrat von einem "beginnenden Völkermord". Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn jedoch erklärte im Deutschlandfunk, was in Libyen geschehe, sei bereits "Völkermord in höchster Potenz".