Teheran kann einen politischen Nutzen aus den Revolten und dem drohenden Zerfall in der Sicherheitsarchitektur der arabischen Welt ziehen.

Hamburg. Die Machtbalance im Nahen Osten, der gegenwärtig von einer Welle von Rebellionen erschüttert wird, ist eine äußerst diffizile und hochsensible Konstruktion. Ihre Kraftlinien überkreuzen sich teilweise. Die Verschiebungen in der politischen Plattentektonik der Region könnten jedoch das gesamte System aus dem Gleichgewicht bringen - mit möglicherweise gravierenden Konsequenzen.

Die nah- und mittelöstliche Sicherheitsarchitektur weist - noch - einige feste Pole auf. Da ist die inoffizielle Atommacht Israel, deren militärische Fähigkeiten die Potenziale ihrer feindlich gesonnenen arabischen Nachbarn wie Libanon und Syrien und dazu des Iran noch auszubalancieren vermag.

Mit Ägypten und Jordanien hat Israel Friedensverträge abgeschlossen - womit sie militärisch für den jüdischen Staat momentan keine akute Bedrohung darstellen. Das militärisch starke Saudi-Arabien ist zwar ein Gottesstaat mit einer besonders intoleranten Version des Islam, der dem Judentum nicht eben wohlgesonnen ist. Die Saudis als Hüter der heiligen Stätten Mekka und Medina empfinden sich als inoffizielle arabische Führungsnation - ein Anspruch, den auch Ägypten, die stärkste Militärmacht der arabischen Welt mit 84 Millionen Einwohnern, erhebt. Die innerarabische, saudisch-ägyptische Rivalität wird jedoch völlig überlagert vom Gegensatz zwischen den überwiegend sunnitischen Arabern und den weitgehend schiitischen Iranern. Vor allem Saudi-Arabien verfolgt die nuklearen Ambitionen der Mullahs in Teheran mit größtem Argwohn.

Die alte arabisch-persische Feindschaft hat dazu geführt, dass Saudi-Arabien und einige arabische Staaten am Persischen Golf - direkte Nachbarn der Iraner also - heimliche Bündnisse mit Israel eingegangen sind. Aus der von WikiLeaks veröffentlichten US-Diplomatenpost wissen wir, dass Saudis, Ägypter und andere Israel geradezu dazu gedrängt haben, die iranischen Atomanlagen zu bombardieren, bevor die Bombe einsatzreif ist. Ein atomar bewaffneter Iran könnte die gesamte Region dominieren - ein Albtraum für die arabische Welt.

Der Umsturz in Ägypten hat jedoch das den USA und Israel zugeneigte Mubarak-Regime hinweggefegt. Die neuen Militärmachthaber in Kairo wirken nicht gerade wie die engsten Freunde Jerusalems. In Jordanien muss der bedrängte Haschemiten-Monarch Abdullah II. sehr aufpassen, dass er sein ohnehin wütendes Volk nicht mit allzu großer Freundlichkeit gegenüber Israel reizt. Der saudische König Abdullah ist in einer ähnlichen Lage; gerade hat er hastig zehn Milliarden Dollar für soziale Wohltaten ausgegeben. Der Iran hat im Golfstaat Bahrain zudem ein Einfallstor nach Arabien. 70 Prozent der Bahrainis sind Schiiten, autoritär beherrscht werden sie aber seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, als Bahrain vom Persischen Reich abfiel, von einer sunnitischen Dynastie. Teheran steht im Verdacht, die blutige Revolte gegen König Chalifa und sein Regime orchestriert zu haben.

Das proisraelische und proamerikanische Engagement des Staatentrios Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien, das die Region sicherheitspolitisch stabilisiert hatte, droht zu kollabieren. Zu lange haben die USA die brutal herrschenden Autokraten Arabiens gestützt. Die von Ägypten erlaubte Durchfahrt zweier iranischer Kriegsschiffe durch den Suezkanal - die erste seit 1979 - ist für Israel kein gutes Omen.

"Iran ist der große Gewinner", sagte ein Berater der US-Regierung von Präsident Barack Obama der "New York Times". Teherans Verbündeter Syrien fühle sich nun ebenfalls ermutigt, auch Katar und Oman neigten inzwischen dem Iran zu. Die früheren Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Flynt Leverett und Hillary Mann Leverett, sagten, Irans Führer sähen, dass sich die regionale Machtbalance gegen Amerika und zugunsten der Islamischen Republik verlagere.

Nun kommt es jedoch darauf an, mit welchem Geschick der Iran die Situation ausnützt. Falls Teheran nämlich zu druckvoll in der arabischen Welt in Erscheinung tritt, könnte sich die Stimmung schnell gegen die Iraner wenden. Und es gibt noch einen weiteren Spieler in diesem komplizierten Machtpoker: Sunnitische Terrorgruppen wie al-Qaida - die der saudisch-wahabitischen Ideologie nahesteht - versuchen verstärkt, das Revolutionschaos in den arabischen Staaten auszunutzen, um Brückenköpfe und Bastionen zu bilden. Sie geraten damit in Gegensatz zu prowestlichen Kräften - aber auch zu den Provokateuren des schiitischen Iran.