Gerüchte besagten, der abgetretene Präsident sei auf dem Weg nach Frankreich. Zuvor verhängte er in Tunesien den Ausnahmezustand.

Tunis/Paris/Berlin. Frankreich liegt nach Angaben seines Außenministeriums kein Asylgesuch des gestürzten tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali vor. Gäbe es eine derartige Bitte um Asyl, würde Paris Tunesiens verfassungsmäßige Einrichtungen zu Rate ziehen, teilte das Ministerium am Freitagabend mit. Die Erklärung erfolgte vor dem Hintergrund von Gerüchten, dass Ben Ali nach Paris unterwegs sein könnte. Auf dem Pariser Flughafen Le Bourget protestierte eine Gruppe Tunesier dagegen, dass der zu Fall gebrachte Machthaber dort möglicherweise landen könnte.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und sein Regierungschef François Fillon berieten am Abend im Elysée-Palast eine Stunde lang über die Lage in Tunesien. Zuvor hatte es aus dem Präsidentenpalast in Paris geheißen, Frankreich nehme den vom Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi bekannt gegebenen „verfassungsmäßigen Übergang“ in Tunesien zur Kenntnis. Die US-Regierung erklärte über den Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, Mike Hammer, das tunesische Volk habe das Recht, seine Führung zu wählen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte die Lage in dem nordafrikanischen Land „besorgniserregend“. „Gebot der Stunde“ müssten jetzt „jeglicher Gewaltverzicht und Besonnenheit“ sein, erklärte Westerwelle. Von Reisen nach Tunesien werde abgeraten. Deutsche in Tunesien sollten sich vorsichtig verhalten und Menschenansammlungen vermeiden. Am Freitagabend ist eine erste Passagiermaschine mit Touristen aus dem Land in Deutschland eingetroffen. Der Flieger der Gesellschaft Air Berlin landete in Düsseldorf, wie der Flughafen mitteilte.

Nach wochenlangen gewaltsamen Unruhen mit dutzenden Toten hatte Tunesiens starker Mann nach 23 Jahren an der Macht das nordafrikanische Land am Freitag an Bord eines Flugzeugs verlassen. Regierungschef Ghannouchi kündigte im Staatsfernsehen an, er werde Ben Ali übergangsweise an der Staatsspitze ablösen. Zuvor hatte die Regierung den Ausnahmezustand verhängt. Der Unmut der Tunesier richtet sich gegen Massenarbeitslosigkeit, hohe Preise, Korruption und politische Unterdrückung.

Der TV-Sender Al-Dschasira hatte am Freitagabend berichtet, Ben Ali habe das Land verlassen. Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi erklärte, er übernehme vorübergehend die Amtsgeschäfte. Er werde die Verfassung respektieren und die Stabilität im Land wiederherstellen. Der Präsident sei derzeit nicht in der Lage, sein Amt auszuüben.

Angesichts der gewaltsamen Proteste, bei denen zahlreiche Menschen getötet wurden, hatte Ben Ali zuvor den Ausnahmezustand über das Land verhängt. Wie das staatliche Fernsehen am Freitag berichtete, entließ er zugleich die Regierung und kündigte vorgezogene Parlamentswahlen binnen sechs Monaten an.

Außerdem halten sich Gerüchte über einen möglicherweise bevorstehenden Rücktritt Ben Alis. Eventuell habe sich der 74-Jährige bereits in Richtung Ausland abgesetzt, hieß es am Abend in Tunis. Der Luftraum über dem nordafrikanischen Land war kurz zuvor nach Verhängung des Ausnahmezustands komplett gesperrt worden. Das Militär riegelte den Flughafen der Hauptstadt Tunis ab.

Trotz der Luftraumsperrungen befinden sich erste deutsche Touristen aus dem Krisenland bereits auf dem Weg in die Heimat. Eine Maschine der Air Berlin sei in Djerba mit rund 100 Gästen an Bord gestartet und werde um 22.30 Uhr in Düsseldorf erwartet, teilte der Reiseveranstalter Thomas Cook am Freitagabend in Oberursel bei Frankfurt mit.

Unterdessen gingen trotz der Rückzugsankündigung Ben Alis vom Vorabend die Demonstrationen unvermindert weiter. In Tunis vertrieb die Polizei mit Tränengas jugendliche Protestierer. In der Nacht wurden Augenzeugen zufolge in Tunis und der Stadt Ras Jebel zwölf Menschen getötet.

Die Entlassung der Kabinetts und die Ansetzung von Neuwahlen wurde im Fernsehen verkündet. Sollten die Anordnungen nicht befolgt werden, würden „Waffen eingesetzt“. Am Abend umstellten Soldaten den Flughafen von Tunis, wie ein Flughafensprecher mitteilte.

Den ganzen Tag über kam es zu regierungsfeindlichen Demonstrationen: Vor dem Innenministerium versammelten sich rund 8000 Demonstranten, die den sofortigen Rücktritt des Präsidenten forderten. Demonstranten skandierten: „Ben Ali, verschwinde!„ und „Ben Ali, danke, aber es reicht!“ Gegen mehrere hundert, Steine werfende Jugendliche setzte die Polizei Tränengas ein. Auch Schüsse waren zu hören. In Sidi Bouzid, wo die wochenlangen Proteste gegen hohe Arbeitslosigkeit und Armut vor einem Monat begannen, forderten ebenfalls Tausende einen sofortigen Amtsverzicht Ben Alis.

In der Nacht habe es zehn Tote bei Unruhen gegeben, sagten Ärzte des Charles-Nicolle-Krankenhauses in Tunis. Ein Augenzeuge in der nordöstlich gelegenen Stadt Ras Jebel berichtete von zwei Toten. Am Vorabend hatte sich Ben Ali dem Druck gebeugt und erklärt, keine sechste Amtszeit anzustreben. Seine seit 1987 dauernde Regierungszeit solle in drei Jahren enden. Zugleich kündigte er an, die Preise für Zucker, Milch und Brot zu senken. Die Presse solle frei berichten können und das Internet keiner Zensur mehr unterliegen. Kurz nach der Rede waren seit Wochen blockierte Webseiten wie das Videoportal YouTube wieder erreichbar.

Der Reiseveranstalter Thomas Cook holte wegen der Unruhen rund 4000 Touristen aus Deutschland, Großbritannien und Irland zurück. Zudem sagte Cook (Neckermann Reisen) alle Tunesienreisen bis einschließlich Montag ab. Urlauber seien zwar bislang nicht direkt betroffen, die Sicherheitslage in dem Land sei jedoch sehr angespannt, sagte Cook-Deutschland-Chef Peter Fankhauser. Der größere Konkurrent TUI Deutschland entschied, seine rund 1000 deutschen Gäste vorerst in Tunesien zu lassen. Der Tourismus sorgt in Tunesien für elf Prozent der Deviseneinnahmen des Landes.

(dapd/rtr/dpa)