Brutalität löst die sozialen Probleme des Landes nicht.

Ein Aufatmen ging 1987 durch Tunesien, als der damalige Ministerpräsident Zine al-Abidine Ben Ali den greisen Staatspräsidenten Habib Bourguiba absetzte. Bourguiba, der Vater der tunesischen Unabhängigkeit, hatte das Land 30 Jahre mit autoritärer Härte regiert und 1984 die "Brotunruhen" blutig niederschlagen lassen. 84 Menschen starben, fast 600 wurden verletzt. Und nun war er viel zu senil geworden, um Tunesien in die Zukunft führen zu können.

Ein Vierteljahrhundert später scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Nur diesmal ist es Bourguibas Amtsnachfolger al-Abidine selber, der vom Volk als halsstarriger Despot attackiert wird und der seine Sicherheitskräfte in die protestierende Menge feuern lässt.

Tunesien 2011 - das ist ein Dampfkochtopf, dessen Deckel dem ungeheuren Druck nicht länger gewachsen scheint. Das rasante Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahrzehnte kombiniert sich in explosiver Weise mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, gestiegenen Lebenshaltungskosten und einem repressiven Regime. Al-Abidine hat offenbar nicht die sozialen Konsequenzen des Umstandes begriffen, dass Tunesiens wirtschaftlicher Erfolg nur einer relativ kleinen Schicht zugute kommt. Sein hastiges Versprechen, 300 000 Arbeitsplätze bis 2012 zu schaffen - zusätzlich zu jenen 50 000, die er bereits der tunesischen Unternehmerschaft versprochen hat -, wirkt kaum glaubwürdig angesichts eines Zehn-Millionen-Volkes, das mit galoppierender Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Erstaunlich ist auch, dass er mit einem Mal auf die Idee kommt, die verarmten Provinzen mit milliardenschweren Investitionen sanieren zu wollen.

Der tunesische Dampfkochtopf weist aber noch ein besonders gefährliches Element auf: Al-Abidine hat sich um die kompromisslose Bekämpfung des militanten Islamismus verdient gemacht - eine wichtige Sache in einem Touristenland. Doch falls es ihm nicht gelingt, die soziale Krise zu entschärfen, falls er vor allem weiterhin den Fehler begeht, die vielen Verzweifelten in seinem Land als Terroristen zu stigmatisieren und die Armee auf sie zu hetzen, könnte er dem Islamismus in Scharen Sympathisanten zutreiben. Tunesiens Problem dabei ist, dass al-Abidine bereits 74 Jahre alt, in der Wolle gefärbter Militärgeheimdienstler und gelernter Autokrat ist. Ein echtes Umdenken in Richtung Pluralismus und Umverteilung ist von ihm kaum zu erhoffen.