Der abgetretene Präsident soll sich in Dschiddah aufhalten. Eine Rückkehr nach Tunesien scheint ausgeschlossen. Das Volk wütet weiter.

Tunis/Berlin. Tunesien kommt auch nach der Flucht des zurückgetretenen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali nicht zur Ruhe. Aus der Hauptstadt Tunis wurde in der Nacht zum Sonnabend von chaotischen Szenen berichtet. Gebäude brannten, es kam zu Plünderungen. Auch ein Krankenhaus soll angegriffen worden sein. Helikopter kreisten über der Stadt. Reiseveranstalter flogen deutsche Urlauber in die Heimat aus. Unterdessen traf Ben Ali in Saudi-Arabien ein.

Nach Angaben von Augenzeugen brannte in der Nacht der Zentralbahnhof der Hauptstadt, auch in mehreren Supermärkten und Wohngebäuden sei Feuer gelegt worden. Unruhen wurden auch aus anderen Landesteilen gemeldet. Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi sprach im tunesischen Staatsfernsehen von einem völligen Sicherheits-Chaos. Er riet den Bewohnern von Tunis, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um ihre Habe zu schützen. In einem Interview kündigte er an, die Armee verstärkt zur Sicherung der Wohnviertel einzusetzen.

Ben Ali hatte vor dem Abflug ins Exil die Regierung abgesetzt und den Ausnahmezustand verhängt. Die Proteste, die sich ursprünglich gegen die hohe Arbeitslosigkeit gerichtet hatten, hatten sich immer mehr zu offenen Aufstand gegen sein Regime entwickelt.

Bis zu Neuwahlen wird Ghannouchi das Amt des Interims-Präsidenten ausüben. Er werde sich am Sonnabend mit den Führern der politischen Parteien treffen, um über das weiter Vorgehen zu beraten, sagte er in einem Interview am Freitagabend. „Morgen wird ein entscheidender Tag“, kündigte Ghannouchi an. Zwei Oppositionsführer hätten bereits Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Eine Rückkehr Ben Alis nach Tunesien bezeichnete er als „unmöglich“.

Die Maschine des geflohenen Präsidenten landete nach arabischen Medienberichten am frühen Sonnabend in Dschiddah am Roten Meer. Man habe Ben Ali und seine Familie im Königreich willkommen geheißen, meldete die saudische Nachrichtenagentur. Die Regierung Saudi- Arabiens wünsche Tunesien „Sicherheit und Stabilität“ und „stehe an der Seite des tunesischen Volkes“, hieß es. Ben Ali hatte nach französischen Medienberichten zuvor versucht, in Paris zu landen. Die französische Regierung habe ihn aber nicht einreisen lassen wollen, berichtete die Zeitung „Le Monde“.

Reiseveranstalter flogen am Freitagabend deutsche Tunesien-Urlauber in die Heimat aus. Erste Maschinen mit Touristen trafen in Düsseldorf und Berlin ein. Wegen des Ausnahmezustands und der Sperrung des tunesischen Luftraums war es zu Flugausfällen gekommen, die die vorzeitige Heimkehr zahlreicher Touristen verzögerte. Reiseveranstalter schätzen, dass mit deutschen Anbietern etwa 7000 Touristen nach Tunesien geflogen sind. In den Urlauber-Hotels blieb es zunächst ruhig.

Das Auswärtige Amt in Berlin riet von nicht unbedingt erforderlichen Reisen nach Tunesien ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich besorgt über die Lage und mahnte eine friedliche Beilegung der sozialen Unruhen an. Die EU-Kommission dringt ebenfalls auf einen friedlichen Wandel in dem Mittelmeerland. „Wir mahnen alle Parteien, Zurückhaltung zu zeigen und Ruhe zu bewahren, um weitere Opfer und Gewalt zu vermeiden“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Freitagabend in Brüssel. Der Schlüssel für die weitere Entwicklung sei der Dialog.

Auch die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Die tunesische Regierung müsse „in diesem Moment des bedeutenden Wandels“ das Recht ihres Volkes respektieren, sich friedlich zu versammeln und seine Ansichten zu äußern, erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton. Die Vereinigten Staaten verfolgten die rapiden Entwicklungen ganz genau, so die Außenministerin. Sie rief zu freien und fairen Wahlen in naher Zukunft sowie zu Reformen auf.

(dapd/rtr/dpa)