SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier über rot-rote Bündnisse, die Zukunft Hamburgs und Selbstinszenierungen in der Politik.

Berlin. Auch 14 Monate nach der Bundestagswahl steckt die SPD im Umfragentief. Für den Oppositionsführer im Deutschen Bundestag kommt da die Neuwahl in Hamburg gerade recht. In der Hansestadt setzt Frank-Walter Steinmeier auf einen Wahlsieg seines Fraktionskollegen Olaf Scholz.

Hamburger Abendblatt:

Herr Steinmeier, haben Sie sich schon bei den Hamburger Grünen bedankt?

Frank-Walter Steinmeier:

Die Hamburger Grünen haben den Schluss aus einer katastrophalen Situation des Senats gezogen, dem sie selbst angehört haben. Ich freue mich, dass nun die Hamburger selbst die Chance haben, über die Zukunft ihrer Stadt zu entscheiden. Und natürlich bin ich froh, dass wir mit einer Wahl ins Wahljahr 2011 starten, bei der die SPD größte Chancen hat, den Bürgermeister zu stellen.

Was für ein Ergebnis ist für die SPD in Hamburg drin? 40 Prozent plus X?

Steinmeier:

40 Prozent sind in heutigen Zeiten für Volksparteien sehr selten geworden. Die guten Umfrageergebnisse für Olaf Scholz zeigen allerdings, dass die Hamburger sich einen seriösen und verantwortungsvollen Bürgermeister wünschen. Und ich bin mir sicher, dass die große Beliebtheit von Olaf Scholz in einem sehr guten Ergebnis für die SPD münden wird.

Woran werden die Hamburger merken, dass Scholz regiert - und nicht mehr Ahlhaus?

Steinmeier:

Die Hamburger werden zunächst einmal einen Bürgermeister bekommen, den sie kennen. Herrn Ahlhaus kannten die meisten Hamburger bis vor Kurzem doch noch gar nicht. Mit Olaf Scholz bekommen die Hamburger auch wieder glaubwürdige Politik zurück und keine Selbstinszenierungen auf den Hochglanzseiten des Boulevards. Sie bekommen einen Bürgermeister, der sich für Wirtschaft und Arbeit einsetzt, der den Hamburger Hafen - die Lebensader dieser Stadt - wieder in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Interesses rückt und damit Arbeitsplätze schafft.

Wie wichtig ist dabei die Elbvertiefung?

Steinmeier:

Ich weiß aus meinen Tagen in der niedersächsischen Landesregierung, dass die Elbvertiefung nicht nur ein Hamburger Thema ist, sondern auch die Nachbarländer berührt. Aber wer als Erster Bürgermeister von Hamburg für die Zukunft seiner Stadt die Verantwortung trägt, muss den Zugang zum Hafen gewährleisten. Ich bin froh, dass Olaf Scholz seinen Einsatz für die Elbvertiefung unmissverständlich erklärt hat.

Wer wäre der bequemere Koalitionspartner - die Grünen oder die CDU?

Steinmeier:

Wer Bequemlichkeit sucht, sollte Politik meiden. Trotzdem: Die Schnittmengen zwischen den Grünen und der SPD sind größer als mit anderen Parteien. Vor allem aber wird sich Olaf Scholz darauf konzentrieren, für die Positionen der SPD zu werben und so die eigene Partei stark zu machen.

Scholz hat bereits ein Bündnis mit der Linkspartei ausgeschlossen. War das so klug?

Steinmeier:

Rot und Grün wird derzeit ein Stimmenanteil von rund 60 Prozent vorausgesagt. Es gibt wirklich keinen Anlass, durch öffentliche Spekulationen die Linkspartei attraktiv zu machen.

Wird es in einem Jahr - nach sieben Landtagswahlen - mehr rot-rote Regierungen in Deutschland geben, oder werden es weniger sein?

Steinmeier:

Von der Linkspartei redet doch kaum noch jemand, die werden im nächsten Jahr nicht hinzugewinnen. In Berlin etwa ist Rot-Grün nicht weniger wahrscheinlich als die Fortsetzung von Rot-Rot. Wir werden am Ende des Jahres 2011 nicht mehr rot-rote Regierungen haben als heute.

Juniorpartner der Linkspartei - kommt das für die SPD infrage?

Steinmeier:

Vor der Situation stand die SPD nach Wahlen in den neuen Bundesländern ja schon. Sie hat es aus guten Gründen nicht getan!

Ist in Baden-Württemberg auch ein grüner Ministerpräsident denkbar?

Steinmeier:

Die Umfragen in Baden-Württemberg sind doch komplett überlagert von dem Konflikt über Stuttgart 21. Ich weiß schlicht nicht, ob das das Thema ist, was die Menschen am Wahltag in drei Monaten immer noch aufwühlt. Jedenfalls ist es heute noch viel zu früh, um über konkrete Zieleinläufe am Wahltag zu spekulieren.

Baden-Württemberg ist keine Ausnahme. Die Grünen sind dabei, die SPD als linke Volkspartei abzulösen.

Steinmeier:

Ich habe schon zu viele Prognosen über den Niedergang der Volksparteien gesehen, um ihnen zu glauben. Die großen Volksparteien, die die unterschiedlichen Interessen in der Gesellschaft bündeln, haben der deutschen Nachkriegsdemokratie ein hohes Maß an Stabilität gebracht. Wir brauchen ohne Zweifel Belebung in der Demokratie. Dazu gehört auch das Auftreten der Grünen auf der politischen Bühne seit den 80er-Jahren. In die Zukunft gerichtet, sehe ich keinen Vorteil darin, das Modell der Volksparteien historisch abzulegen und den Weg zu Parlamenten mit einer Vielzahl von Interessenparteien zu gehen, die sich dann unversöhnlich gegenüberstehen. Die Folgen solcher Demokratiemodelle kann man im europäischen Ausland bereits beobachten.

Dennoch steckt die Volkspartei SPD in einer schweren Identitätskrise - konstatiert der konservative Flügel der Partei. Teilen Sie die Kritik des Seeheimer Kreises?

Steinmeier:

Wahr ist: Wir hatten nach elf Regierungsjahren einen sehr guten Start als Opposition. Zu Beginn einer Oppositionsphase sollte man sich nicht nur gegenseitig auf die Schultern klopfen, sondern auch kritisch zurückblicken und sich neu aufstellen. Das haben wir im ersten Jahr in der Opposition getan. Wir haben Korrekturen und Schärfungen in einzelnen Bereichen vorgenommen. Die Aufgabe des nächsten Jahres ist, neues Profil aufzubauen mit Blick auf die Bundestagswahl 2013.

Die SPD sage mal Hü, mal Hott zum selben Thema, liest man bei den Seeheimern. Das zielt auf den Parteivorsitzenden ...

Steinmeier:

Das ist kein Satz von mir. Und lassen Sie mich klarstellen: Sigmar Gabriel verdient für sein erstes Jahr als Parteivorsitzender nur Lob.

Sie haben vor einem Jahr als Kanzlerkandidat das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten eingefahren. Ist es vorstellbar, dass Sie 2013 noch einmal antreten?

Steinmeier:

Ich verspreche Ihnen, die SPD wird mit einem Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen. Und: Wir werden diesen Kandidaten auch rechtzeitig benennen.

In Umfragen haben Sie immer deutlich vor dem Parteivorsitzenden gelegen - und seit Ihrer Nierenspende für Ihre Frau haben Sie in der Bevölkerung weiter an Sympathie gewonnen. Das kann auch der Parteichef nicht ignorieren.

Steinmeier:

Über hohe Sympathiewerte ärgere ich mich sicher nicht. Wenn sie jetzt noch etwas besser geworden sind, dann weiß ich, dass das auch mit ganz privaten Entscheidungen zu tun hat, die mit der Politik gar nichts dazu haben. Ich sehe das sehr nüchtern und überschätze nichts.

Herr Steinmeier, haben Sie Mitleid mit Ihrer früheren Amtskollegin Hillary Clinton?

Steinmeier:

Ehrlich gesagt: Ja, ich habe Mitleid mit Hillary Clinton. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken und wissen, dass jede Auslandsreise mit einer umfänglichen Entschuldigung bei jedem Gesprächspartner beginnen wird. Die Veröffentlichung der geheimen Protokolle wird niemanden so sehr ärgern wie die Amerikaner selbst. Aber was da passiert ist, löst nicht nur Ärger bei anderen aus, sondern auch eine Befangenheit bei der eigenen politischen Arbeit. Die Wirkungen dieser Veröffentlichungen sind für die Diplomatie katastrophal.

Ist der Schaden schon absehbar, den WikiLeaks mit den Veröffentlichungen von Geheimpapieren angerichtet hat?

Steinmeier:

Es wird kein unübersehbarer politischer Schaden zwischen den Amerikanern und ihren Partnern in Europa entstehen. Jeder, der in den Dokumenten negativ beschrieben worden ist, wird professionell damit umgehen. Aber insgeheim wird er sich merken, was über ihn verfasst worden ist. Ungleich schädlicher sind die Veröffentlichungen, wo sie handelnde Personen in Krisenregionen betreffen. Entweder war es Absicht, oder die Verantwortlichen bei WikiLeaks wissen nicht, was es bedeutet, wenn etwa geheimste Einschätzungen über Personen, Hintergründe und Motive im Nahen und Mittleren Osten ungeschützt herausposaunt werden.

WikiLeaks stellt sich als Kämpfer gegen Vertuschung dar ...

Steinmeier:

Was WikiLeaks tut, wird das Gegenteil des Erhofften hervorrufen. Wir werden eine Phase erleben, in der die Regierungen von ihren Botschaften nur noch glattgebügelte Berichte bekommen. Was wirklich mitteilenswert ist, wird nur noch mündlich überliefert. Das hilft keinem, weder der Außenpolitik noch den Kämpfern für die Transparenz.

Teilen Sie die Befürchtung von Datenschützern, dass bald die Krankenakten einfacher Bürger im Internet zu finden sind?

Steinmeier:

Zunächst hat WikiLeaks die Veröffentlichung von geheimen Bankdaten angekündigt. Aus der Perspektive von Unternehmen ist das Risiko solcher Veröffentlichungen sicher nicht geringer als das, was wir derzeit erleben. Wenn den Konkurrenten Geschäftsdaten mitgeteilt werden, die aus guten Gründen geheim gehalten werden, und Geschäftsstrategien bekannt werden, dann kann daraus auch erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstehen.

Was können Unternehmen, Staaten und Bürger gegen solche Veröffentlichungen tun?

Steinmeier:

Die Konfliktlage im Datenschutz hat sich völlig verändert. Bei der Volkszählung in den frühen 80er-Jahren wurde noch nach Schutz vor staatlichem Datenhunger gerufen. Was wir gegenwärtig erleben, ist eine völlig neue Bedrohung von Datensicherung durch private Dritte. Wir haben es im Moment mit Aktivitäten außerhalb des Geltungsbereichs des deutschen Rechts zu tun. Es wird ungeheuer schwierig, hier dasselbe Maß an Schutz und Ahndung zu erreichen.