Christa Goetsch informierte den Bürgermeister über das Ende der Koalition. Neuer Kurs bei Schulpolitik und Stadtbahn

Hamburg/Jesteburg. Es war gegen 10.30 Uhr am Sonntag, als die Hamburger CDU vom Donner gerührt wurde. Eigentlich hatte sich die Partei zum Ausklang ihrer zweitägigen Klausur etwas Wellness verordnet. Draußen, vor den Fenstern des idyllisch gelegenen Tagungshotels in Jesteburg, stimmte der von einem Hauch Schneeweiß bedeckte Wald auf die besinnliche Weihnachtszeit ein, drinnen ging es um die "CDU im Norden". Ein Wohlfühlthema.

Christian von Boetticher, CDU-Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, war zu Gast, die "Aussprache" über die Zusammenarbeit zwischen Hamburg und Kiel lief, als Bürgermeister Christoph Ahlhaus sowie Partei- und Fraktionschef Frank Schira überraschend gemeinsam den Saal verließen. Ein Anruf. Danach war Schluss mit der Idylle.

Am Apparat war Christa Goetsch, die Zweite Bürgermeisterin. Aufgewühlt, den Tränen nahe, informierte die Grüne die Schwarzen darüber, dass die GAL das Bündnis mit der CDU aufkündige. Ahlhaus rief daraufhin bei der weniger emotionalen Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk an, um sich die Hintergründe schildern zu lassen. Als Ahlhaus und Schira in den Saal zurückkehrten, warteten sie ein Statement von Boettichers ab, um das Wort zu ergreifen.

"Ich muss Ihnen mitteilen, dass die Grünen gerade mitgeteilt haben, dass sie die Koalition beenden", sagte Schira. Was folgte, war eine Art Schockstarre. Keine Nachfragen, keine offene Diskussion. Lediglich der Hinweis, dass sich der Landesvorstand um 14 Uhr in der Parteizentrale am Leinpfad einfinden möge. Einige Parteimitglieder arbeiteten die Nachricht in kleinen Gruppen auf, der Rest hielt sich an den letzten Tagesordnungspunkt, der nun eine ganz neue Bedeutung bekam: "individuelle Heimreise". Zurück nach Hamburg - ohne Koalitionspartner.

Doch nicht überall war das Tischtuch zwischen den Eben-noch-Bündnispartnern sofort zerschnitten. Viele Fachpolitiker der CDU bekamen von ihren GAL-Pendants eine SMS geschickt: "Tut mir leid, es lag nicht an Dir" oder ähnlich lautete die Botschaft.

Um 15.10 Uhr hatten Ahlhaus und Schira den Hebel aber bereits umgelegt - auf Attacke. "Überrascht und enttäuscht", sei er von den Argumenten der Grünen, die CDU sei kein verlässlicher Partner mehr, sagte Ahlhaus. Ihm gegenüber habe nie ein Grüner von fehlender Verlässlichkeit gesprochen. Im Gegenteil, es sei die GAL, die wohl den "Traum von einer Dagegen-Partei" habe. Ahlhaus: "Ich werte das als Flucht vor der Verantwortung."

Ähnlich äußerten sich andere Parteimitglieder. "Ich bin enttäuscht, dass das Projekt Schwarz-Grün kaputt ist", sagte der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse dem Abendblatt. Er sollte eigentlich Mitte Dezember Finanzsenator Carsten Frigge beerben, behält jetzt aber sein Mandat in Berlin. Die Koalition habe viel erreicht, im Gegensatz dazu habe Rot-Grün von 1997 bis 2001 "nichts bewegt", so Kruse, der auch Parteivize ist. "Ich bedaure den Schritt der GAL sehr und kann ihn nicht nachvollziehen", sagte auch der Bürgerschaftsabgeordnete Harald Krüger. "Jetzt zeigen wir, wie pure CDU-Politik in Hamburg aussehen könnte."

Einen Eindruck davon gab Ahlhaus, der zuvor vom CDU-Landsvorstand einstimmig als Spitzenkandidat für die Neuwahl nominiert wurde, bereits am Leinpfad. "Ohne den Hemmschuh einer sehr schwierigen Koalition", so Ahlhaus, werde man auf die Themen Haushaltskonsolidierung, Wohnungsbau und Wirtschaft, speziell die Wettbewerbsfähigkeit des Hafens, setzen.

Die CDU und Bürgermeister Ahlhaus werden jetzt außerdem versuchen, aus der Regierung heraus Korrekturen am bisherigen schwarz-grünen Kurs vorzunehmen. Ahlhaus hat schon angekündigt, dass die CDU das Projekt Stadtbahn zwar nicht kippen, aber die Trassenführung ändern will. Im eng bebauten Winterhude, durch das die erste Stadtbahnstrecke laufen soll, ist der Protest auch bei CDU-Mitgliedern besonders groß. Offen ist allerdings, ob sich die CDU letztlich wirklich zu einem Ja zur Stadtbahn durchringen kann.

In der Schulpolitik wird die Union nun schnell eine Trendwende ankündigen, um die eigene Basis zu beruhigen. Hier wirkt der Bruch des Bündnisses wie eine Befreiung, wie der Streit über das von der GAL-geführten Schulbehörde favorisierte Modell eines24-Punkte-Notensystems gezeigt hat.

Aber die CDU hat das Problem, dass sie sich als einzig verbliebene Senatspartei nicht völlig vom bisherigen schwarz-grünen Kurs verabschieden kann. So muss sich Ahlhaus weiterhin für das Projekt Umwelthauptstadt 2011 ins Zeug legen, obwohl die treibende Kraft mit der GAL fehlt. Am ehesten könnte die Union noch punkten, indem sie die Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung zu ihrem zentralen Thema macht. Doch auch hier taucht sofort ein immenses Problem auf: Ausgerechnet der für den Haushalt verantwortliche Finanzsenator, Carsten Frigge, hat ja schon seinen Rücktritt erklärt und ist nur noch kommissarisch im Amt.

Die CDU ist von allen Parteien in der strategisch ungünstigsten Lage. Angesichts der Umfragewerte glaubt niemand in der Union an die absolute Mehrheit. Anders als der SPD, die nun auf die GAL zugehen wird, fehlt der CDU der "natürliche" Partner für ein Regierungsbündnis. Die FDP kann in Umfragen nicht die Fünf-Prozent-Hürde überspringen und ist weiterhin mehr mit sich selbst und den internen Machtkämpfen beschäftigt. Außerdem lastet auch noch der negative Bundestrend auf den Elbliberalen. Der strategische Reiz von Schwarz-Grün war aus Sicht der CDU gerade in der chronischen Schwäche der Elb-FDP begründet.

Die Union muss, so paradox ist die Lage, jetzt auf die Chance zur Großen Koalition hoffen. Darauf wird sich die SPD ebenso wenig einlassen, wenn es für Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün reicht, wie es unter umgekehrten Vorzeichen Ole von Beust 2008 nach der letzten Bürgerschaftswahl getan hat. Beide große Parteien haben in Hamburg eine tief sitzende Abneigung gegen eine Große Koalition.

Für Ahlhaus ist die Lage mit dem gestrigen Tag noch schwieriger geworden, als sie ohnehin schon war. Er hat es nicht geschafft, einen skeptischen Koalitionspartner in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit von sich und der Fortsetzung des Bündnisses zu überzeugen. Ihm bleibt nun eigentlich, eine tief verunsicherte CDU auf einen konservativen Kurs zu einen. Ahlhaus' Tragik: Er wird vermutlich als der Hamburger Bürgermeister mit der kürzesten Amtszeit seit Gründung der Bundesrepublik in die Geschichte eingehen.