Sehr geehrter Chefredakteur,

das ist ganz billiger und primitiver Sensationsjournalismus. Eine seriöse Berichterstattung trägt nicht - wie das Hamburger Abendblatt es tut - zur Hysterie und zur Steigerung der Hysterie bei, als wenn wir uns dem Weltuntergang nähern. Tatsache sind - leider - elf Tote durch die Schweinegrippe in etwa vier Wochen. Wie von Ihnen an anderer Stelle vor einiger Zeit berichtet "sterben jährlich an der saisonalen Grippe, das heißt im Winterhalbjahr, mindestens 12 000 Menschen". Das sind pro Tag mindestens 36 Menschen und bezogen auf das Winterhalbjahr etwa 80 Menschen pro Tag. Auch durch den Autoverkehr sterben täglich mindestens zehn Menschen. Wo bleiben Ihre stetigen entsprechenden wirklich dringenden Sensationsmahnungen, dass sich die Menschen gegen die saisonale Grippe impfen lassen sollten? Die Wirkung wäre für die Sterbensrate extrem größer. Etwas mehr Seriosität würde dem Abendblatt gut zu Gesicht stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Ursula und Dr. Wilfried Krull

Sehr geehrte Frau Krull, sehr geehrter Herr Dr. Krull,

wie viele andere Leser auch haben Sie uns zum Thema Schweinegrippe geschrieben. Einige stellen Fragen, andere geben Anregungen und wieder einige stört die Berichterstattung. Weil es gerade Kritik ist, die eine Redaktion voranbringt, habe ich Ihren Brief ausgewählt. Es wird Sie nicht verwundern, aber ich halte unsere Berichterstattung weder für "billig" noch für "Sensationsjournalismus". Sicherlich gibt es in einigen Medien Hysterie, beim Abendblatt aber kann ich die nicht erkennen. Oder ist es schon hysterisch, dass wir derzeit jeden Tag vom neuen Virus berichten?

Wir haben in den vergangenen Monaten immer wieder über die Schweinegrippe geschrieben, weil sie eine neue Variante der Grippe ist und von der Weltgesundheitsorganisation WHO als weltweite Seuche eingestuft wurde. Unumstritten ist, dass sich der Erreger sehr leicht von einem Menschen auf den anderen überträgt.

Noch verläuft diese neue Grippe mild, doch Experten fürchten, dass sich das ändern könnte. Ob Robert-Koch-Institut, ob das Paul-Ehrlich-Institut oder Gesundheitsminister Philipp Rösler, sie alle warnen und raten zu Impfung. "Alle bisher vorliegenden Daten aus den verschiedenen Staaten zeigen, dass das pandemische H1N1-Virus, das bei den meisten Menschen immer noch zu relativ milden Krankheitsverläufen führt, bei schwangeren Frauen zu schweren Erkrankungen, Komplikationen und auch auffällig vielen Todesfällen führt", heißt es beim Paul-Ehrlich-Institut.

Wir wollen, dass unsere Leser aus dem Abendblatt den aktuellen Stand der Dinge erfahren. Nur wer gut informiert ist, kann sich eine fundierte Meinung bilden und so entscheiden, ob oder wogegen er sich impfen lassen möchte. Hysterischen Reaktionen möchten wir dadurch gerade vorbeugen. Weltuntergangsszenarien zu Unterhaltungszwecken zu entwerfen überlassen wir gern dem Regisseur Roland Emmerich, wie Sie gestern auf den Kulturseiten lesen konnten.

Erlauben Sie mir zuletzt noch ein Wort zu den Vergleichen, die Sie anführen: Sicher fordert der Straßenverkehr oder die alljährliche Grippe mehr Opfer - aber wenn wir H1N1 schönreden, kleinschreiben und verschweigen, kann sich das schnell ändern. Deshalb werden wir weiter so ausführlich wie nötig und so nüchtern wie möglich berichten.

Herzliche Grüße

Matthias Iken