Mit der Einschulung des ersten Kindes verändert sich auch der Alltag für Eltern. Trainerin Barbara Lenke hilft bei der Umstellung.

Hamburg. Sie haben die Schuleingangsuntersuchung hinter sich gebracht, sie haben den obligatorischen Sprachtest bestanden, die Kita hat sie bestens aufs Schulleben vorbereitet. Sie bringen also alle körperlichen und geistigen Voraussetzungen für den Start in einen neuen Lebensabschnitt mit: Alle 14.900 Hamburger Knirpse, die heute oder morgen ihren ersten Schultag feiern, sind für schulreif erklärt worden. Nicht nur für die Kinder ändert sich ab sofort der Alltag - ebenso für die Eltern. Auch auf sie kommen neue Aufgaben, neue Herausforderungen zu. Aber sind die Eltern auch reif dafür?

Sohn oder Tochter werden sich im Laufe des ersten Schuljahres enorm entwickeln. "Ich kann mich genau erinnern", sagt die heute 14-jährige Emily. Ich war stolz und fühlte mich erwachsen", so die Neuntklässlerin. Die Schule - das sei eine neue Welt gewesen, in der es ihr peinlich war, wenn die Mutter sie an die Hand nahm. "Ich war doch eine Große. So wollte ich auch behandelt werden." Die Hand loslassen bedeutet, das Kind loszulassen, ihm Freiräume und eigene Lebenswelten zu ermöglichen. Der erste Schultag markiert in dieser Entwicklung ein Schlüsseldatum für Kind und Eltern.

"Alles halb so schlimm", sagt Elterntrainerin Barbara Lenke. "Das Loslassen ist ein positiver Prozess, den man lernen kann. Das Abnabeln vom Kind falle leichter, wenn eine vertrauensvolle Atmosphäre herrsche. Grundvoraussetzung dafür sei, stets mit dem Kind im Gespräch zu bleiben, sich mit anderen Eltern und den Lehrern über den Nachwuchs und dessen Schulerfahrungen auszutauschen. Barbara Lenke, 51, nennt das "aktive Aufmerksamkeit".

Im ersten Schuljahr müssten Eltern einen echten Spagat hinlegen, so die Diplom-Pädagogin und Gestalttherapeutin. "Der reicht von Behüten bis zum Anleiten zur Selbstständigkeit. Das fängt beim Schulweg an und reicht bis zu den Hausaufgaben. "Hier müssen Eltern zum Beispiel lernen, dass ihr Kind selbst für die Schule verantwortlich ist. Immer wenn Kinder etwas alleine machen, werden sie stolz und wachsen daran. Das Kind muss die Aufgaben lösen können, nicht die Eltern."

Zurückhaltung ist also angesagt - auch in Sachen Bildungserwartung. "Die sind enorm gestiegen. Ich erlebe Eltern, die bereits in der ersten Klasse von ihrem Kind Bestleistungen erwarten, weil sie es auf dem Gymnasium sehen und erwarten, dass es Medizin studiert." Oder dass sich Väter und Mütter nach einem halben Schuljahr erzürnten, weil sie mit den Lehrmethoden nicht einverstanden seien. "Eltern müssen ihre Bildungserwartung überprüfen und an die tatsächlichen Leistungen des Kindes anpassen."

Ein runder Schultag bedeutet: feste Strukturen, Rituale und Regeln. Das rechtzeitige Wecken sei enorm wichtig. Das Kind braucht ausreichend Zeit fürs Wachwerden, fürs Waschen und Zähneputzen, für ein entspanntes Frühstück und um den Sportbeutel noch mal auf Vollständigkeit zu überprüfen. "Ein wichtiges Ritual ist mindestens eine tägliche gemeinsame Mahlzeit als Gelegenheit, entspannt darüber zu reden, was das Kind in der Schule erlebt hat und was es beschäftigt. Regeln erleichtern den Alltag - vor allem den der kleinen Erstklässler. Eine Regel könne lauten: der Ranzen wird am Abend für den kommenden Schultag gepackt. "Schulstress zu vermeiden - das ist heute fast unmöglich", sagt Barbara Lenke. "Dazu sind die Anforderungen der Gesellschaft zu hoch."

Umso wichtiger sei es, viele Möglichkeiten zu schaffen, den Stress auszugleichen. Dazu zähle viel Bewegung, Entspannung und: ausreichend Schlaf. Ein müder Start in den Schultag ist ein schlechter Start.

Nicht zuletzt: Eltern müssten ihr eigenes Verhältnis zur Schule und zum Lernen überprüfen. "Wenn sie dem Kind ständig erzählen, dass sie die Schule gehasst haben, oder dass sie auch schlecht in Mathe waren, bringt das die Kinder nicht weiter." Was im ersten Schuljahr gelte, ziehe sich durch die gesamte Erziehungszeit. "Wer seinem Kind Vertrauen entgegenbringt, ihm mit einer liebevollen Strenge begegnet und sich gegenüber der gesamten Persönlichkeit aufmerksam verhält, kann kaum etwas falsch machen." Das Wichtigste: "Mit den Kindern im Gespräch bleiben. Also: reden, reden, reden."

Die Diplom-Pädagogin Barbara Lenke arbeitet als Elterntrainerin in Grund- und weiterführenden Schulen. Sie berät Eltern bei Erziehungsunsicherheiten und hilft ihnen, durch gezieltes Training ihre erzieherischen Kompetenzen zu stärken. Sie moderiert zudem als ElternMedienLotsin von dem Stadtsender TIDE geförderte Elternabende. Lenke unterstützt so Eltern, sich im Mediendschungel zu orientieren.