Debatte um höhere Quoren bei Volksentscheiden. Experten plädieren für Abstimmungen zeitgleich mit Wahlen. Dann dürfte die Beteiligung steigen.

Hamburg. Ist das Quorum, also die Hürde, bei Volksentscheiden zu gering? Ist es für das Volk zu einfach, Gesetze eines Parlaments wieder zu kippen? Ist die Volksgesetzgebung eher Fluch als Segen? Nach der gescheiterten und mit einer klaren Mehrheit der Hamburger gestoppten Schulreform ist in der Stadt eine Diskussion um Volksentscheide entbrannt.

Der Verfassungsexperte der GAL, Farid Müller, plädiert dafür, dass Volksentscheide grundsätzlich an Tagen der Bürgerschafts- oder Bundestagswahl stattfinden sollten. Das war jetzt aufgrund des Zeitdrucks nicht möglich. Doch Volksentscheide zwischen den Wahlen müssten Ausnahmefälle bleiben, so Müller. Seine Begründung: An einem Wahltag sei eine hohe Beteiligung gesichert. Außerdem gelten bei Volksentscheiden zeitgleich mit einer Bürgerschaftswahl in Hamburg auch andere Quoren: Nötig sei dann die Zustimmung der einfachen Mehrheit. Und zwar derjenigen, die eine gültige Stimme für eine der Parteien abgegeben hätte, die es anschließend ins Parlament schaffte. So erklärt es Manfred Brandt vom Verein "Mehr Demokratie".

Die Debatte um Hürden bei Volksabstimmungen wird befeuert von Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi. Die Entscheidung über die Schulreform gelte, sagt er. Doch über das niedrige Quorum lasse sich streiten. Das tat er gestern in einem Gastbeitrag im Abendblatt. Er antwortete dem pensionierten Professor Hans Herbert von Arnim. Dessen neuerliche Antwort finden Sie unten. Der Hintergrund: Für den ersten Schritt, die Volksinitiative, sind 10.000 Unterschriften nötig. Ein Volksbegehren ist danach gültig, wenn es fünf Prozent der Wahlberechtigten (derzeit rund 62.000 Bürger) unterstützen. Einem Volksentscheid letztendlich müssen die Mehrheit der Abstimmenden und mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. Für Dohnanyi eine "offenbar sehr niedrige Hürde", über die man nachdenken sollte.

+++ Hans Herbert von Arnim: Dohnanyi übergeht das Wesentliche +++

Beistand in der Volksentscheids-Diskussion erhält Dohnanyi vom Grünen-Bundesvorsitzenden. Cem Özdemir hat seine Partei in der "Berliner Zeitung" aufgerufen, nachzudenken, warum sich sozial Schwache nicht so stark an Volksentscheiden beteiligten. Es bestehe die Gefahr, dass die Begünstigten einer Reform wie in Hamburg "sich kaum an solchen Abstimmungen beteiligen", so Özdemir, während "die Gegner besser situiert und besser vernetzt sind und durch ihren Bildungshintergrund besseren Medienzugang haben". In der Bürgerschaft ist die Diskussion über die Regularien des Volksentscheids zurzeit kein Thema. "Wenn die Bürgerschaft nach einem verlorenen Volksentscheid gleich die Regeln ändern wollte, wäre sie ein schlechter Verlierer", sagt Farid Müller. Der Volksentscheid werde akzeptiert. Und deshalb könne man auch nicht einfach die Spielregeln ändern, wenn einem eine Entscheidung nicht passe, sagt Andreas Dressel von der SPD. "Damit würde man die Bürger vor den Kopf stoßen", so der innenpolitische Sprecher.

Man habe damals einen Verfassungskonsens gefunden, auch im Einklang mit dem Verein "Mehr Demokratie" - dieses Fass wieder aufzumachen, davon raten die Verfassungsexperten ab. Dass an der direkten Demokratie nicht zu rütteln ist, betont auch Christiane Schneider von den Linken. Denn bei Entscheidungen, die tief ins Leben von Familien eingreifen, müssten diese auch die Chance haben, sich zu äußern.

Viel mehr beschäftigt die verfassungspolitischen Sprecher die Frage der Beteiligung, die auch Özdemir aufgeworfen hat. Dass so viele Hamburger nicht mit abgestimmt haben, zeige, dass viele an Volksentscheiden nicht interessiert seien, so Kai Voet van Vormizeele, CDU. Das sei das Kernproblem - was höhere Quoren nicht ändern würden.

Auch für Manfred Brandt von "Mehr Demokratie" steht das Thema Quorum nicht zur Diskussion - schließlich habe man das mit Bürgerschaft und Senat damals so verhandelt. Damals, das war 2001. Drei Jahre vorher hatte "Mehr Demokratie" noch versucht, das Zustimmungsquorum ganz abzuschaffen, ebenfalls per Volksentscheid. Für eine solche Verfassungsänderung waren und sind allerdings 50 Prozent Zustimmung nötig, der Entscheid scheiterte knapp mit 47 Prozent, erinnerte Brandt.

In anderen Bundesländern, ausgenommen Bremen, gelten beim Volksentscheid übrigens andere Quoren. Höher sind sie laut "Mehr Demokratie" in Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen (25 Prozent), Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern (33 Prozent) und Saarland (50 Prozent). In Nordrhein-Westfalen liegt die Hürde hingegen bei nur 15 Prozent , in Bayern, Hessen und Sachsen gibt es gar keine.