Nach vier Krankheitsfällen wurde in Hamburg eine ganze Klasse beurlaubt. Bisher gibt es zehn Tote. UKE-Chef Jörg Debatin ist besorgt.

Hamburg. Der gefährliche Darmkeim EHEC breitet sich in Norddeutschland offenbar ungebremst aus. In Hamburg muss jetzt die erste Schulklasse zu Hause bleiben. Bei vier Schülern der Klasse 10d des Gymnasiums Othmarschen waren Symptome der Krankheit diagnostiziert worden.

Schulleiterin Nele Degenhardt entschied nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt, dass die gesamte Klasse in dieser Woche vom Unterricht befreit wird. Entscheidend war der Verdacht, dass es zu einer Kontaktinfektion unter den Kindern im Klassenraum gekommen sein könnte. Der Raum wurde inzwischen desinfiziert. Weil in dem Klassenzimmer auch andere Schüler unterrichtet wurden, seien weitere Kinder und Lehrer gefährdet, hieß es. Auch am benachbarten Gymnasium Hochrad gab es EHEC-Fälle.

Am Wochenende forderte der Erreger erneut vier Todesopfer. Bisher sind dem Bakterium zehn Menschen - darunter neun Frauen - zum Opfer gefallen, allein sechs davon in Schleswig-Holstein und Hamburg. Zahlreiche Patienten schweben in Lebensgefahr. Die behandelnden Ärzte sind äußerst besorgt. "Wir werden weitere Menschen verlieren", sagte gestern Prof. Jörg Debatin, Vorstandschef des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE). Man müsse sich darauf einstellen, dass auch jüngere Menschen sterben.

In vielen Fällen leiden EHEC-Kranke an einer besonders schwerwiegenden Variante, dem Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Im UKE ist der Zustand vieler HUS-Patienten kritisch. "Wir sprechen von einer Herausforderung, wie wir sie bisher noch nicht erlebt haben", sagte Debatin. Von den rund 80 Patienten liegen 18 auf der Intensivstation, davon acht im künstlichen Koma. Insgesamt haben 30 HUS-Erkrankte keine Nierenfunktion mehr.

In der Hansestadt wie auch in Schleswig-Holstein setzen die Mediziner in einigen Fällen inzwischen den Antikörper Eculizumab ein, der neurologische Veränderungen und Nierenschäden bessern soll. Ob die Therapie erfolgreich ist, wird sich erst in einigen Wochen zeigen. Das neue Mittel werde nur den Patienten mit schweren neurologischen Störungen verabreicht, erklärte Debatin. Dazu gehörten das Aussetzen des Seh- und Sprechvermögens sowie Einschränkungen der Hirnfunktion. Es müsse neben Todesfällen auch mit zahlreichen Folgeschäden bei den Überlebenden gerechnet werden.

In der Hansestadt wurden bis Sonnabend 467 erwiesene und Verdachtsfälle mit EHEC gemeldet. In Schleswig-Holstein hatte sich am Freitag die Zahl der Infektionen mit 248 Fällen mehr als verdoppelt. Heute sollen neue Zahlen bekannt gegeben werden. Auch in Skandinavien und den Nachbarstaaten der Bundesrepublik kam es zu EHEC-Ausbrüchen. In fast allen Fällen hatten sich die Infizierten vor Kurzem in Deutschland aufgehalten. Nach Auffassung der EU-Seuchenkontrollbehörde ist die Infektionsquelle immer noch aktiv. Ob tatsächlich allein spanische Gurken die Ursache sind, die - wie von Hamburger Forschern festgestellt - mit dem aggressiven Erreger verseucht waren, ist unklar. Auch andere mögliche Übertragungswege werden untersucht. Das Robert-Koch-Institut warnt weiter eindringlich vor dem Verzehr von Salatgurken, rohen Tomaten und Blattsalaten.

Unterdessen haben viele norddeutsche Kliniken mit Engpässen bei den Blutvorräten, der Bettenbelegung und dem Personal zu kämpfen. Das UKE musste bereits EHEC-Patienten in Krankenhäuser anderer Bundesländer verlegen, um schwere HUS-Fälle besser versorgen zu können.