Dr. Matthias Riedl erklärt, was bei einer Ernährungsumstellung nie fehlen darf. Und welche Methode sich für wen eignet.

  • Ernährungsumstellung gelingt in der Regel nur in kleinen Schritten
  • Was bei der Vollbremsung zu beachten ist
  • Etwas darf bei Umstellung aber auf keinen Fall fehlen

Hamburg. Wer sich im Leben zu viel auf einmal vornimmt, scheitert leicht. Und deshalb empfiehlt Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl üblicherweise eine Ernährungsumstellung in kleinen Schritten. Doch Fälle wie der von Sabrina beeindrucken auch ihn. Sie hat nämlich mit großem Erfolg eine Vollbremsung hingelegt.

Ernährungs-Doc Matthias Riedl: Ernährungsumstellung per Vollbremsung?

Die 42-Jährige (1,60 Meter groß, 68 Kilo) hatte sehr schlechte Blutfettwerte, ihr Leukozytenwert war zu hoch, sie hatte Gelenksschmerzen und es gab den Verdacht auf Arthrose. Nachdem sie angefangen hatte, den Podcast „Dr. Matthias Riedl: So geht gesundes Ernährung“ zu hören, setzte sie sich intensiv mit dem Thema Ernährung auseinander.

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„Ich begann, ein Ernährungstagebuch zu führen und startete mit dem Intervallfasten“, sagt sie. Fertiggerichte strich sie vom Speiseplan, kochte stattdessen jeden Tag frisch und baute Bewegung in ihren Alltag ein. Sie fühlt sich jetzt nach eigenen Angaben sehr wohl in ihrem Körper und fragt sich, „warum habe ich es nicht schon längst gemacht“.

Matthias Riedl sagt, diese Kehrtwende sei nur scheinbar ein Widerspruch zu seiner Empfehlung der kleinen Schritte. „Sie hat Angst gehabt und war sich im Klaren, was sie will.“ Sie habe durch das Ernährungstagebuch-Führen alle ihre Fehler vor Augen geführt bekommen und sich gesagt, ,warum soll ich jetzt nicht alles auf einmal machen? Mir sitzt die Angst im Nacken.’ Ihre hohen Blutfettwerte mündeten in Arterienverkalkung und einem kaputten Gelenk.“

Ernährungsumstellung: Ein konkretes Ziel darf niemals fehlen

Seine Aufforderung „macht bitte keine Vollbremsung“, gelte für die meisten Menschen, weil die meisten, die arbeiten, Partner und Kinder haben und dennoch eine Vollbremsung hinlegen wollen, zum Scheitern verurteilt seien. „Wer aber Zeit hat und motiviert ist, der darf das machen. Das ist sehr individuell.“

Sabrina habe mit der Reduktion ihres Bauchumfangs um fast zehn Prozent ihr Risiko für Arterienverkalkung um 50 Prozent gesenkt und ihrem Gelenk gehe es auch wieder gut. Das zeige noch mal, dass eine radikale Änderung der Gewohnheiten manchmal gut sein könne, „aber man muss Zeit und Muße dafür haben und Unterstützung. Wer aber im Beruf steht und viel um die Ohren hat, sollte lieber dreimal nachdenken, sagt Riedl, bekannt von den NDR-Ernährungs-Docs.

Wer eine Ernährungsumstellung anstrebt, sollte unbedingt ein klares Ziel formulieren, so der Experte: „Das führt der Fall von Sabrina ganz toll vor Augen. Sie hat gesagt, die Risiken durch das Blutfett, das muss besser werden. Und mit dem Gelenk muss es besser werden. Das war ihr ganz konkretes Ziel. Sie hat vor Augen gehabt, was sie erreichen will. Und damit war ihr Ziel total konkret.“

Ernährungs-Doc: Am besten gleich loslegen

Auch wer abnehmen will, müsse das konkret formulieren: „Wie viel will ich denn abnehmen? Sind es fünf Kilo, sind es zehn Kilo? Das ist total wichtig“, sagt der Ärztliche Leiter des Medicum Hamburg, „oder ich will wieder die Treppen besser steigen können oder mir soll ein bestimmtes Kleid wieder passen.“ Diese Ziele sollte man nicht zu groß setzen. „Der Klassiker ist ,ich möchte 16 Kilo im Vierteljahr abnehmen’“.

Aber so ein Ziel sei viel zu hoch gegriffen, da sei das Scheitern schon inklusive. „Wir wollen eine nachhaltige Veränderung des Gewichts. Realistisch sind ein bis zwei Kilo pro Monat“, sagt der Ernährungs-Doc. Das formulierte Ziel müsse erreichbar sein, „und wir brauchen auf dem Weg dahin kleine Belohnungen. Das ist wie bei der Wanderung, wenn wir über eine längere Streck gehen. Wenn wir wissen, um 13 Uhr treffe ich wahrscheinlich auf eine Gaststätte, ist das ganz was anderes, als wenn ich wirklich bis zum Abend durchhalten muss, und dann gibt es erst was zu essen.“

Bei Menschen wie Sabrina, bei denen dieser Weg lange und beschwerlich ist, treffen laut Riedl viele Dinge zusammen. Sie habe sofort angefangen und das sei auch wichtig. „Man muss Ziele formulieren und gleich loszulegen.“

Mit kleinen Schritte sei es aber leichter: „Das ist so, wie wenn man mit einem riesigen Satz über einen Graben will. Da ist das Risiko, drin zu landen, größer, als wenn ich mir eine Stelle aussuche, wo ein paar Steine in der Mitte sind vom Bach liegen, und ich gehe von Stein zu Stein.“

Ernährung: Wenn der Leidensdruck groß ist klappt es leichter

Abgesehen von Vollbremsern mit enorm großer Motivation und einem hohen Leidensdruck wie bei Sabrina empfehle er den Menschen, nach dem 20:80-Prinzip vorzugehen, das heißt, die wichtigsten Fehler mit dem größten Hebel zu analysieren. Das könne der hohe Zuckerkonsum sein oder die vielen Zwischenmahlzeiten oder das Fehlen von Gemüse in der Ernährung.

„Und wenn wir tatsächlich mal vom Weg abkommen, und da war eine Feier und dann gab es Tiramisu und ich habe zweimal nachgeholt und fühle mich jetzt ganz schlecht, – nicht unterkriegen lassen. Es ist nicht schlimm, aber morgen mach ich es wieder anders. Und dann habe ich von 30 Tagen, in dem ich meine Vorsätze umsetzen wollte, vielleicht nur 20 geschafft, aber das ist super.“

Wer seine Ernährung verbessern will, sollte auch Freunden und Bekannten Bescheid sagen, sagt der Autor von mehr als 30 Bestsellern. „Die Unterstützung der Gruppe ist total wichtig.“ Aus Studien wisse man, dass bei Paaren, bei denen einer wegen Übergewicht behandelt wird, auch der Partner abnehme.

Üblicherweise müsse man sich im Freundeskreis für seine – neuen – Essgewohnheiten auch nicht mehr verteidigen. „Wenn wir heute sagen, ich bin Vegetarier oder Veganer, da rümpft keiner mehr die Nase. Oder ich mache mal zuckerfrei, da sagen alle ,oh, toll’“.

Ernährungs-Doc Riedl: Bitterstoffe können bei Süßhunger helfen

Riedl kennt viele Beispiele von Patienten, die ihre Ernährung erfolgreich umgestellt haben. Jürgen beispielsweise, von Beruf Zugführer, der ein Problem mit dem Süßhunger hatte, hat 23 Kilo abgenommen. Er habe den Jieper auf Süßigkeiten mit Bitterstoffen bekämpft.

„Der ganze Körper hat Rezeptoren, also Steckdosen, für diese Bitterstoffe. Wir gehen davon aus, dass diese die Verdauung fördern, dass sie den Süßhunger hemmen. Man kann die Bitterstoffe auch in der Apotheke kaufen. Da nimmt man ein paar Tropfen auf die Zunge und der Süßhunger ist wie weggeblasen.“ Manchmal reiche eine einzelne Maßnahme um Erfolg zu haben.