Liebes Hamburger Abendblatt,

seit 1958 bin ich Leser Ihrer Zeitung. Im Nachlass meiner Verwandten fand ich ein Heft aus dem "Hamburger Anzeiger" ("Groß Hamburgs meistgelesene Zeitung"). Leider war es ohne Datum und Jahreszahl. Können Sie mir sagen: Ist der "Hamburger Anzeiger" ein Vorläufer vom Abendblatt? Von wann bis wann erschien er?

Ihr treuer Leser

Hellmut Eppler

Sehr geehrter Herr Eppler,

vielen Dank für Ihren Brief und Ihr Interesse an der Hamburger Zeitungsgeschichte. Gleich zu Anfang lassen Sie mich eines mit Nachdruck klarstellen: Das Hamburger Abendblatt hatte keinen Vorläufer und nach der Schreckensherrschaft der Nazis und dem Untergang des Deutschen Reichs 1945 auch kein Vorbild, weder den "Hamburger Anzeiger" noch das "Hamburger Fremdenblatt". Axel Springer, der 1912 in Altona geborene Verlegersohn, träumte während des Krieges davon, später das größte europäische Zeitungshaus aufzubauen (was ihm gelungen ist) und die beste Zeitung Hamburgs herauszugeben, die es jemals gegeben hat (was ihm - bei aller Bescheidenheit - aus unserer Sicht ebenfalls gelungen ist).

Als sie am 14. Oktober 1948, damals abends, zum ersten Mal erscheinen konnte, nannte er sie Hamburger Abendblatt, und Axel Springer hatte das zerstörte Hamburg, die hungernde Bevölkerung, den Nachbarn, den Nächsten, die Familie, die Frau und vor allem die Solidarität untereinander in schwerer Zeit ("Seid nett zueinander") im Auge. Er wählte das Motto: "Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen." Dafür gab es keine Vorbilder, und damals gab es auch keinen "Anzeiger" und kein "Fremdenblatt" mehr.

Der "Anzeiger" wurde von dem Essener Großverleger Wilhelm Girardet am 2. September 1888 als "General-Anzeiger für Hamburg-Altona" gegründet und 1922 mit dem Schwesterblatt "Neue Hamburger Zeitung" zum "Hamburger Anzeiger" zusammengelegt. Girardet brachte damit den Zeitungstyp "Generalanzeiger" nach Hamburg - kurze Artikel, populäre Themen, niedrige Bezugs- und Anzeigenpreise, sodass der "Anzeiger" in der Weimarer Republik der meistgelesene Titel der Hansestadt war. Im "Dritten Reich" gleichgeschaltet, wurde er kriegsbedingt am 1. September 1944 mit dem "Fremdenblatt" und dem "Tageblatt" (der Hamburger NS-Zeitung) zur "Hamburger Zeitung" zwangsvereinigt (bis 30. April 1945).

Nach dem Krieg bekamen tatsächlich oder vermeintlich vorbelastete Zeitungen keine Lizenz der britischen Besatzungsmacht. Erst am 13. September 1952 startete der "Anzeiger" einen Neuanfang, übernahm zwischenzeitlich die CDU-nahe "Hamburger Allgemeine Zeitung", brach einen ruinösen Preiskrieg gegen das Abendblatt vom Zaun, den der "Anzeiger" verlor - nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, wie ich meine. Am 31. März 1957 gab der "Anzeiger" endgültig auf.

Herzliche Grüße

Matthias Iken ,

stellvertretender Chefredakteur