Die Naturkatastrophe auf Island brachte Mehmet Tüm die Tour seines Lebens. Er legte die 900 Kilometer in knapp neun Stunden zurück.

Hamburg. Es gibt Geschichten, die es so eigentlich gar nicht gibt - meint man. Gedanken, die nur gedacht werden. Träume, die Träume bleiben und in der Realität keinen Platz haben. Weil sie so weltfremd sind. Weil sie nur einmal in 100.000 Fällen - oder vielleicht noch seltener - passieren. Und wenn, dann nur den anderen. Geschichten wie diese: dass ein Taxifahrer zwei Gäste am Hamburger Flughafen aufnimmt, die folgenden Satz sagen: "Wir möchten nach Paris. Bitte."

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"So etwas", hätte Taxifahrer Mehmet Tüm noch am Donnerstag gesagt, "so etwas gibt es doch nur im Film." Seine Kollegen hätten ihm zugestimmt, wären in ihre Wagen gestiegen und hätten die nächste Fahrt angetreten. Nach Langenhorn, nach Wandsbek, nach Altona und St. Pauli.

Auch Mehmet Tüm befindet sich auf einer gewöhnlichen Tour, als plötzlich auf dem Display des Funktaxis folgende Anfrage aufleuchtet: "Sonnabend, Hamburg- Paris, Abfahrt 18 Uhr, Flughafen". Der 35-Jährige liest, stutzt. "Das ist meine Fahrt", denkt er. Sekundenbruchteile später nimmt er den Auftrag an. Es wird die Tour seines Lebens.

30 Stunden bleiben dem Taxifahrer, um seinen VW Touran für die große Fahrt vorzubereiten. Er fährt in die Waschanlage, saugt Sitze und Kofferraum, macht einen Termin in der Werkstatt, um das Taxi noch einmal gründlich durchchecken zu lassen. "Ich wollte auf keinen Fall einen Fehler machen." Er kauft Brötchen, belegt sie mit Wurst und Käse, packt Obst und Getränke in eine Kühltasche. Er zieht ein frisches Hemd an, kauft sich eine Straßenkarte von Paris und verabschiedet sich von seinem vierjährigen Sohn. Die Tour beginnt.

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Um 18 Uhr fährt der Wagen mit der Nummer 619 am Terminal 1 vor. Ein Franzose und ein Engländer stehen mit ihren Koffern am Taxistand. Aus ihren edlen Anzügen schließt Mehmet Tüm, dass es sich um Geschäftsleute handeln muss. Sie steigen ein. Sie lehnen sich zurück. "Paris", sagen sie noch einmal. Dann startet der Hamburger den Motor. 900 Kilometer liegen vor ihnen.

"Ich bin schneller als ein Flugzeug", scherzt Tüm. Die Herren lachen. Das Taxi biegt auf die Autobahn 1. Zehn, 100, 500 Kilometer zeigt der Kilometerzähler an. Tüm interessiert das nicht. "Die Zentrale hat einen Festpreis ausgemacht", sagt er. 1200 Euro kostet der Trip nach Paris. Die Route geht über Bremen, Holland, Belgien. Alle 250 Kilometer macht das Trio eine Pinkelpause. Die Männer vertreten sich die Füße, trinken eine Tasse Kaffee. Im Auto läuft klassische Musik. 400 Kilometer vor der französischen Metropole übernimmt der Franzose die Lotsenfunktion. Kurz vor 3 Uhr in der Nacht erreichen sie ihr Ziel: das Stadtzentrum von Paris. "Normalerweise", sagt Tüm, "dauert eine Taxifahrt nicht länger als eine Viertelstunde." Zwischen fünf und zehn Kilometer lang ist eine Strecke. Mehr als zehn Fahrten an einem Tag hat er in Hamburg selten.

"Mit der Tour nach Paris habe ich an einem Tag so viel verdient wie sonst in drei Wochen." Es gehe ihm jedoch weniger um das Geld. Wichtig sei die Erfahrung. Dass nämlich auch Träume wahr werden können. Ein paar Stunden verbringt Mehmet Tüm in Paris. Am Nachmittag ist er wieder auf dem Weg gen Norden. Unterwegs trifft er Kollegen aus Stockholm und aus Dänemark. Am Montag steht der Wagen mit der Nummer 619 wie gewohnt am Flughafen. Sein Fahrer wartet auf Kundschaft. Fünf Stunden lang. Dann steigt ein Herr ein. Er lehnt sich zurück. "Nach Langenhorn", sagt er. "Bitte."