Business mit Stil: Vertrautheit bei der Anrede sagt noch nichts über das Vertrauen bei der Arbeit

Hamburg. "Jeder sollte sich gut überlegen, wem er das Du anbietet", sagt Julia Presting-Kempf, Teamentwicklerin und Stilberaterin aus Stade. "Zurücknehmen kann man es nicht." Selbst nicht nach einem Streit? "Nein, das würde von totaler persönlicher Inkompetenz zeugen", ist die Inhaberin des Beratungsunternehmens "sinnforma" überzeugt. Nach Ansicht von Presting-Kempf hat das Duzen sowieso nichts damit zu tun, wie nett die Atmosphäre oder offen der Ton im Büro ist. "Mit dem Duzen ist nicht unbedingt Freundlichkeit verbunden. Man kann jemanden auch sehr unfreundlich duzen."

Auf der anderen Seite verliere aber niemand - auch Vorgesetzte nicht - den Respekt der anderen, wenn er sich mit den Teammitgliedern duzt. "Respekt muss man sich anders verdienen", sagt Business-Coach Jo B. Nolte aus Hollenstedt bei Hamburg. "Er erwächst aus Leistung oder Charakterstärke."

Chefs brauchen eine gesunde Distanz, um Weisungen aussprechen zu können

Nolte glaubt nicht daran, dass automatisch ein besseres oder schlechteres Verhältnis durch "Du" oder "Sie" entsteht. Allerdings mag es mitunter schwerer sein, eine Kritik des Chefs per Du anzunehmen. Darum heißt ihr Rat an Vorgesetzte: "Dass man sich duzt, darf keine Verkumpelung sein. Man braucht eine gesunde Distanz, wenn man Weisungen aussprechen muss."

Der Mittelweg setzt also viel Souveränität voraus. Denn auch Vorgesetzte dürften Einblicke in ihr Privatleben geben, sagt Nolte. Sollten sie sogar: "Es wird von den Mitarbeitern als Manko empfunden, wenn sie gar nichts über ihren Chef wissen, etwa was seinen Familienstand angeht."

Vorgesetzte sollten möglichst nicht unterscheiden, mit wem sie sich duzen und mit wem sie sich siezen. "Das Beste ist, einheitlich damit umzugehen", sagt die Trainerin. Wer neu in der Führungsrolle ist und sich mit einigen aus dem Team duzt, mit anderen nicht, könne allgemein das Du anbieten. "Aber sagen Sie nie in großer Runde: ,Seid ihr einverstanden, wenn wir uns duzen?'", warnt Nolte. "So etwas muss immer im Einzelgespräch stattfinden, man muss dem anderen die Möglichkeit geben, sich darauf einzustellen."

Wer wem in der Firma das Du anbieten darf, ist auch heute noch klassisch geregelt: Der Ranghöhere dem Rangniedrigeren - auch wenn dieser älter ist als sein Chef -, bei gleichrangigen Mitarbeitern derjenige, der länger im Unternehmen ist. Ein Unterschied zwischen Frauen und Männern wird nicht mehr gemacht. "Natürlich kann man sich über Regeln hinwegsetzen", sagt Nolte. "Aber ich empfehle, sich an die Konvention zu halten - besonders, wenn man noch Karriere machen will."

Ein Duz-Angebot abzulehnen ist schwer, wenn nicht unmöglich. Am ehesten wird es noch Neuen in der Firma nachgesehen. "Man sollte anfangs erst mal gucken, welches Gefühl man im Unternehmen bekommt", sagt Jan Schaumann, Inhaber von stiltrainer.de. "Manchmal sind diejenigen, die einen schnell ansprechen und sich duzen wollen, auch diejenigen, die sich gleich mit jedem zu verbrüdern versuchen."

Nur neue Mitarbeiter können unter Umständen auch mal ein Du ablehnen

"In dieser Situation kann man durchaus noch klarmachen, dass man sich erst einmal im Unternehmen akklimatisieren möchte, bevor man auf solche Angebote eingeht." Wichtig sei, sich für das Angebot zu bedanken und es wohlwollend aufzunehmen. Schaumann: "Es geht darum, dass der andere nicht sein Gesicht verliert." Man solle sich in ihn hineinversetzen: "Wie fühlt er sich, wenn ich ablehnend reagiere?" Dann finden sich hoffentlich auch die richtigen Worte - so, wie man sie selbst in solcher Situation hätte hören wollen.

Wird in der Firma geduzt, sollten die Mitarbeiter sich Gedanken um die Außenwirkung machen. "Nenne ich meinen Teamleiter eigentlich beim Vornamen und spreche mit Leuten, die mit ihm nicht per Du sind, heißt er in dieser Runde auch für mich wieder 'Herr Dr. Klöbner'", sagt Schaumann.

Im internationalen Kontext kann es günstig sein, sich vorab zu überlegen, wie man mit dem Thema Anrede umgeht. "In englischsprachigen Telefonkonferenzen wird oft 'You' und der Vorname verwendet - was im Englischen aber gar nicht dem deutschen 'Du' entspricht", erklärt Stilexperte Schaumann. Er rät dazu, als deutschsprachige "Siez-Gruppe" für die Dauer des Telefonats auch zum "you" plus Vornamen überzugehen. "Das ist ein Mittelweg, um Situationen nicht unnötig kompliziert zu machen." Denn wer an die Gepflogenheiten im Englischen gewöhnt sei, den irritiere ein förmliches und sehr deutsches "Mr" oder "Mrs" nur.

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