Der 18-Jährige aus Uelzen hat ein Buch über seine Leiden in Haft geschrieben. Gestern wurde der Missbrauchs-Prozess in der Türkei auf April 2009 vertagt. Hier geht's zur Bildergalerie

Antalya/Uelzen. Gestern war wieder einmal so ein Tag, der Marco W. zurückwirft. Der 18-Jährige aus Uelzen hatte so sehr auf das Ende seines Prozesses in der Türkei gehofft und darauf, dass der Vorwurf der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs der erst 13 Jahre alten Charlotte aus England vom Tisch kommen würde.

Aber, so schilderte es am Nachmittag sein Anwalt Michael Nagel, der Prozess wurde wieder einmal vertagt - und Marco "kann sich nur die Decke über den Kopf ziehen". Und hoffen, dass nun am 10. April ein Urteil fällt und der Albtraum irgendwann endet.

Aber weiter einfach tatenlos warten, das kann Marco offenkundig nicht mehr. Gestern brach der 18-Jährige sein Schweigen.

In einer persönlichen Erklärung wurde er am Abend ungewohnt offen und deutlich: "Das Schweigen macht mich krank." Er beklagt die "ewige Anspannung" durch die Prozessdauer auch für seine Familie, den leukämiekranken Vater, der einen Knochenmarkspender sucht. Und Marco berichtet davon, sich die ganze Geschichte von der verhängnisvollen Nacht mit Charlotte im türkischen Ferienort Antalya, von den Haftbedingungen in der Türkei "von der Leber zu erzählen". Genau das hat er nun getan, schriftlich. Wohl auch zur Überraschung seiner Anwälte erscheint bereits Anfang Dezember zum Jahrestag seiner Entlassung aus dem türkischen Gefängnis sein Buch "Marco W. - Meine 247 Tage im türkischen Knast", verlegt vom Hamburger Verlag Dr. Carlos Schumacher. "Folter, Schlafentzug und harte Drogen", heißt es in der Verlagsankündigung zu dem Buch, das am 9. Dezember, also in knapp zwei Wochen, erscheinen soll. "Ich habe nichts gegen die Türkei", stellt Marco fest. "Aber die Leser sollen ruhig wissen, was mir widerfahren ist." Er sei, versicherte Marco gestern, unschuldig.

Tatsächlich schmilzt die Anklage gegen ihn dahin. Das Gericht in Antalya hat gestern einen weiteren Beweisantrag des Anwalts verworfen, der als Nebenkläger die Familie von Charlotte vertritt. Wenn die türkische Staatsanwaltschaft am 10. April keine neuen Beweisanträge stellt, soll am selben Tag nach den Plädoyers endlich das Urteil fallen. Das wäre dann fast auf den Tage genau zwei Jahre nach der schicksalhaften Nacht, als der damals 17-Jährige Marco und Charlotte aus England sich näher kamen im Osterurlaub: Von Zärtlichkeiten, einem Flirt sprechen seine Anwälte, von Vergewaltigung und Missbrauch die Anklage. Mindestens für die Vergewaltigung aber gibt es auf der Basis des seit zwei Tagen endlich vorliegenden amtlichen türkischen Gutachtens keine Basis mehr - das Gericht will auch keine weiteren Zeugen mehr hören.

Marco war am 12. April 2007 in seinem türkischen Urlaubshotel festgenommen worden. Auf den Schock nach der Festnahme folgten für den deutschen Schüler Monate der Ungewissheit in dem türkischen Gefängnis - immer wieder schleppte sich das Verfahren mit wochenlangen Pausen von einem Termin zum nächsten. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war Marco trotz der versäumten Schulzeit der Realschulabschluss zuerkannt worden. Inzwischen besucht er eine zweijährige Fachoberschule für Technik.

Trotz der langen Verzögerung bis zur Entlassung aus der Untersuchungshaft und der manchmal sogar monatelangen Prozesspausen vermeiden Marcos Anwälte peinlich genau jede Schelte am türkischen Justizsystem: "Wir glauben, das Gericht weiß, was es tut." Druck aus Deutschland, so das Kalkül, könnte in der Türkei auch zu einer Trotzreaktion führen. Hauptziel der Verteidigung aber ist es, einen vollständigen Freispruch zu erreichen. Und beim zweiten Anklagepunkt, sexueller Missbrauch, müssen die Richter abwägen. Sogar Marcos Anwalt Nagel räumt offen ein, dass sexuelle Handlungen mit 13-Jährigen auch in Deutschland grundsätzlich strafbar sind. Aber, so versichert er, "Marco hatte keinen Grund auch nur zu ahnen, dass Charlotte so jung war".

Für Ömer Aycan, Charlottes Anwalt, ist alles offen. Mit keiner Zeile werde eine Vergewaltigung ausgeschlossen, sagt er.

Für Marco selbst steht fest, dass er die Reise in die Türkei im April nicht antreten wird. Für ihn zähle im Moment vor allem die Hilfe für seinen schwer kranken Vater.