Das Landgericht belastete in dem Prozess nun den Geliebten der Ex-Frau - einen Polizisten aus Pforzheim.

Mannheim. Als der befreiende Satz kam, der eine zwölf Jahre währende Marter beenden sollte, zuckte die Hand von Harry Wörz (43) unwillkürlich vors Gesicht. Kein triumphierender Blick, keine Siegergeste, keine Umarmung mit den beiden Anwälten. "Der Angeklagte wird freigesprochen", hatte der Vorsitzende Richter Rolf Glenz gerade gesagt, kaum 20 Sekunden nach Beginn dieses letzten Verhandlungstages. Erst schien es, als schlage sich Wörz die Hand vor den Mund. Doch dann strich er nur hilflos mit dem Daumen über seinen Schnurrbart. Als der Mannheimer Richter seine Urteilsbegründung vorlas, schnäuzte sich Harry Wörz in ein blaues Taschentuch. Und dann begann er leise zu weinen.

Jahrelang hatte ihm die Justiz zu Unrecht den versuchten Totschlag an seiner Frau zur Last gelegt. Seit 1997, direkt nach der Tat, bestreitet der Installateur aus Birkenfeld bei Pforzheim, Andrea Z. etwas angetan zu haben. Doch in einem ersten, sehr schnell geführten Prozess wurde er in Karlsruhe aufgrund von Indizien zu elf Jahren Haft verurteilt. Er sei nachts in die Wohnung der damals 26 Jahre alten Polizistin eingedrungen, mit der er in Scheidung lebte. Im Streit über das Sorgerecht für den zweijährigen Sohn habe er sie so lange mit einem Schal gewürgt, bis ihr Gehirn wegen Sauerstoffmangels irreparabel geschädigt war, hieß es. Andrea Z. überlebte zwar, wird sich aber nie wieder artikulieren können. Sie wird, wie auch der Sohn, von ihren Eltern betreut, die als Nebenkläger gegen Harry Wörz auftraten.

Der Täter konnte in dieser Nacht zum 29. April 1997 unerkannt entkommen, obwohl der Vater von Andrea Z. in der Wohnung unter ihr schlief und von Geräuschen aufwachte. Weil ein Einweghandschuh mit DNA-Spuren von Wörz am Tatort gefunden wurde, galt der Fall für die Pforzheimer Polizei als aufgeklärt.

Die Mannheimer Richter halten es nach einer sechs Monate währenden Verhandlung nun zwar "für möglich, aber für höchst unwahrscheinlich", dass Wörz der Täter war. Viel mehr noch: Die Kammer halte den damaligen Geliebten des Opfers, Thomas H. (50), für den Hauptverdächtigen, sagte Richter Glenz überraschend deutlich und bekam dafür, ganz gegen alle Regeln, Applaus im Gericht.

Wie es scheint, hat die Polizei tatsächlich jahrelang den Falschen gejagt. Und das womöglich, so sehen es zumindest die Verteidiger und Unterstützer von Harry Wörz, weil dieser Verdächtige selbst Polizist ist - und damals nicht nur der Geliebte, sondern auch der Ausbilder von Andrea Z. war sowie der Kollege von deren Vater. Diese Konstellation von Opfer, Vater und möglichem Täter ist es, die den Fall so einzigartig und skandalös macht. Denn alle Beteiligten arbeiteten zur Zeit der Tat bei der Pforzheimer Polizei, nur eben Harry Wörz nicht.

Und ausgerechnet diese Polizeidienstelle übernahm auch die Untersuchung. Eindeutig sei zulasten des damals arbeitslosen Bauzeichners Wörz ermittelt worden, kritisierte dessen Rechtsanwalt Ralf Neuhaus stets: "Den Kollegen von der Polizei hat man dagegen behandelt wie ein rohes Ei." Belastendes Material wie das Tagebuch von Andrea Z. verschwand, sowohl die Eltern des Opfers als auch der Geliebte waren während der Ermittlungen am Tatort. Die Mutter leerte sogar einen Mülleimer.

Vier Jahre und sieben Monate saß Wörz in Haft, doch viele seiner Freunde und Nachbarn waren von seiner Unschuld überzeugt und sammelten Geld für eine Fortführung des Prozesses. Tatsächlich wurde er freigelassen und in einem aufsehenerregenden Wiederaufnahmeverfahren vom Landgericht Mannheim freigesprochen. 2006 kippte allerdings der Bundesgerichtshof den Freispruch wegen rechtlicher Fehler und ordnete einen dritten Prozess an. Der endete jetzt mit Freispruch. Mit Spannung wird nun erwartet, ob die Staatsanwaltschaft gegen Thomas H. ermittelt. Diese Frage wollte gestern noch niemand beantworten.