Entführer ließ Kind (10) in Kiste ersticken. Verdächtiger war seit 1982 im Visier der Polizei, doch er fälschte Alibis und streitet alles ab.

Augsburg. Ein altes Tonbandgerät hat der Kriminalpolizei nach 27 Jahren Ermittlungen die entscheidende Spur geliefert. Von diesem vorsintflutlichen Modell sollen 1981 die neun Erpresseranrufe an die Eltern der damals zehn Jahre alten Ursula Herrmann abgespielt worden sein. Da war das Mädchen schon tot.

Spezialisten des Bayerischen Landeskriminalamtes filterten nun mit neuesten Analysemethoden technische Besonderheiten des Gerätes heraus, die auch auf den mitgeschnittenen Anrufen bei der Opferfamilie zu finden sind. Der Leitende Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz (Augsburg): "Das i-Tüpfelchen für unsere Beweiskette!"

Vor drei Tagen schließlich wurde Ursulas mutmaßlicher Mörder Werner M. (58) in Kappeln (Schleswig-Holstein) festgenommen. Er hatte 1981 nur 250 Meter von seinem Opfer entfernt am Ammersee in Bayern gewohnt, war damals hoch verschuldet und soll das Mädchen mit dem Fernglas beobachtet haben.

Als Ursula am 15. September 1981 gegen 19.30 Uhr durch ein Waldgebiet von Schondorf nach Eching radelt, reißt sie der Beschuldigte vom Rad, verliert dabei sein Fernglas und bringt das Mädchen in die zuvor eingegrabene Kiste, rund 800 Meter vom Tatort entfernt. Dort erstickt Ursula wenige Stunden nach der Entführung qualvoll, da die Belüftungsanlage nicht funktioniert. In der Holzkiste sollte das Kind bis zur Übergabe des Lösegeldes gefangen gehalten werden. Das Gefängnis war beleuchtet, mit Stoff ausgekleidet zur Schalldämpfung, mit Getränken und Lebensmitteln bestückt, ein Plastikeimer für die Notdurft, ein Kofferradio und Kinderbücher als Lesestoff gehörten zur Ausrüstung. "Es ist abscheulich, ein Kind in dieser Kiste alleine zu lassen", sagt Nemetz. "Das ist ein äußerst schäbiges Tatgeschehen." Die technischen Vorkehrungen seien weitere Indizien für die Täterschaft des Verdächtigen, der 1981 in Eching, dem Heimatort des Opfers ein Radio- und Fernsehgeschäft betreibt. Der Täter schreibt nach der Entführung zwei Erpresserbriefe und fordert zwei Millionen D-Mark (gut eine Million Euro) Lösegeld. Seine Forderungen unterstreicht er durch neun Anrufe, bei denen er nichts sagt. Auf ihnen ist jeweils nur die damalige Erkennungsmelodie des Hörfunksenders Bayern 3 zu hören und danach 30 Sekunden Stille.

Diese Anrufe sind ihm nun - fast drei Jahrzehnte nach der Tat - zum Verhängnis geworden, nachdem das Tonband bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurde. Schon einmal war Werner M. im Januar 1982 nach einem anonymen Hinweis als Tatverdächtiger festgenommen, aus Mangel an Beweisen aber wieder freigelassen worden. Der Mann konnte damals für die Tatzeit drei Alibis vorweisen. Doch diese drei Alibis waren mit Freunden abgesprochen und falsch, sagen die Ermittler heute. Gegen zwei Alibi-Geber wird ermittelt, ein dritter ist bereits gestorben. Und noch ein Toter spielt bei dem Fall eine Rolle. Er soll 1982 erklärt haben, er habe auf Anweisung des jetzt Verhafteten die Grube für die Kiste in dem Wald gegraben, in der Ursula erstickte. Später widerrief er seine Angaben. Dieser wichtige Zeuge, der damals im Wald mit einem Spaten gesehen worden war, starb 1996. Seine Aussage gehört zu der Indizienkette. Warum Werner M. nicht früher festgesetzt wurde, ist eine der Fragen, die offen bleiben. Nemetz' Erklärung: "Er stand 27 Jahre unter Verdacht, ohne dass wir zwingende Beweise für eine Täterschaft hatten." Auch die akribische Suche nach DNA-Spuren und der Fund von rund 100 Haaren haben zu keinem Ergebnis geführt. Nemetz: "Wir haben kein Geständnis, keine DNA-Spur, aber eine komplexe Beweislage durch Indizien für einen dringenden Tatverdacht gegen den Festgenommenen."

Ob die Indizienkette für eine Verurteilung von Werner M. reichen wird, muss nun das Gericht entscheiden. Der Strafrahmen dafür reicht von zehn Jahren Haft bis lebenslänglich.