Die Familie der entführten und getöteten Kurdin Arzu Ö. aus Detmold hat die 18-Jährige vor der Tat mit E-Mails stark unter Druck gesetzt.

Detmold. Die getötete Kurdin Arzu Ö. ist vor der Tat von ihrer Familie heftig unter Druck gesetzt worden. In E-Mails, die am Mittwoch vor dem Landgericht Detmold verlesen wurden, flehen und bedrängen die Verwandten die weggelaufene 18-Jährige im Namen der „Familienehre“, doch wieder zur Familie zurückzukommen. Zugleich beschwört die mittlerweile im Frauenhaus lebende Arzu eine Freundin, nicht mit anderen Leuten über die E-Mails zu sprechen.

Eine Schwester und vier Brüder Arzus sind wegen Geiselnahme angeklagt. Drei von ihnen wirft die Anklage Mord vor. Das Trio hatte die Entführung vom November 2011 am ersten Prozesstag gestanden. Der 22 Jahre alte Osman räumte die tödlichen Schüsse ein. Die Anklage glaubt, dass die Familie jesidischen Glaubens die Beziehung von Arzu Ö. zu einem nicht-jesidischen deutschen Bäckergesellen nicht hinnehmen wollte.

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Am 1. September 2011 hatte Arzu, nachdem sie verprügelt worden war, Anzeige gegen den Vater und den Bruder Osman erstattet und war ins Frauenhaus gekommen. Die Familie machte sich auf die Suche und schrieb auch zahlreiche E-Mails an Arzu. Darin flehte ihre mitangeklagte Schwester Sirin, Arzu möge heimkommen. Der Vater habe einen Herzinfarkt erlitten. „Dein Vater wird sterben.“ Familie sei nicht zu ersetzen.

Außerdem versuchte Sirin, ihrer kleinen Schwester ein schlechtes Gewissen zu machen. „Papa kommt wegen deiner Anzeige ins Gefängnis“, schrieb Sirin am 18. September 2011; und sie erinnerte sie daran, dass die Familie ihr den Führerschein bezahlt habe. Abwechselnd benutzte sie Koseworte (“kleine Maus“) und klagte an, dass Arzu am Unglück der Eltern schuld sei - „echt traurig!“

Der mitangeklagte Bruder Elvis schrieb ihr einen Tag vor der Entführung: „Du bist und bleibst Jesidin.“ Auch der Vater meldete sich per E-Mail bei Arzu: „Komm nach Hause, ich tu dir nichts“, versicherte er am 14. September.

Arzu war dennoch offensichtlich voller Angst. Im Chat mit einer Freundin schrieb sie am 8. September 2011: „Pass auf, mit wem du redest, sonst bin ich tot.“ Auch Online-Kontakte seien womöglich unsicher, der Vater habe die Zugangsdaten „aus ihr rausgeprügelt“. Und Arzu fragte, ob ihre Freundin das Lied „Köln Kalk Ehrenmord“ von Eco Fresh kennt.

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Darin schildert der türkischstämmige Rapper die Geschichte von Max und Güleysan, wie sie sich zufällig treffen, lieben lernen, anders leben. „Hat denn diese Schlampe keinen Anstand?“, schreit Güleysans Bruder, als er von der Beziehung erfährt, und weiter heißt es in dem Song: „Und klaute die Pistole bei seinem Vater aus dem Wandschrank.“ Am Ende des Liedes tötet er das Liebespaar mit Kopfschüssen.

Am 14. Mai wird die Verhandlung fortgesetzt.