Diskussion um deutschen Schwimmsport nach Debakel in London. Wie es geht, zeigten die Amerikaner – dort ist die nächste Generation schon da.

London. Britta Steffen kletterte als erste aus dem Pool, gratulierte ihrer Nachfolgerin Ranomi Kromowidjojo und verließ ohne Blick zurück das Aquatics Centre. Platz vier über 50 Meter Freistil , sieben Hundertstelsekunden fehlten zu Bronze. Die letzte Hoffnung auf eine Olympia-Medaille war dahin, für Steffen und auch für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV). Die blamable Nullnummer war Realität. Keine Medaille – das hatte es zuletzt 1932 in Los Angeles gegeben. Der Deutsche Schwimmsport ist in London in der Tiefe versunken.

Steffens Abgang muss indes kein Abschied für immer gewesen sein. Im Augenblick der Ernüchterung machte die Doppel-Olympiasiegerin von Peking Hoffnung auf die Fortsetzung ihrer Karriere. „Ich verspüre noch immer die Leidenschaft fürs Schwimmen. Aus Niederlagen bin ich immer gestärkt hervorgegangen“, sagte die 28 Jahre alte Berlinerin und wägte in aller Öffentlichkeit Pro und Kontra ab: „Über 50 Meter kann ich noch vorne mitschwimmen. Und die EM 2014 ist in Berlin. Dagegen spricht das Umfeld, das sehr hart mit mir ins Gericht geht. Ich werde jetzt in aller Ruhe überlegen.“ Eine Entscheidung über die sportliche Zukunft will sie nach einem gemeinsamen Ostsee-Urlaub mit ihrem Freund Paul Biedermann treffen.

Bei der Aufarbeitung des London-Debakels will Steffen jedenfalls nicht mithelfen. „Ich bin nur ein dummes Sportlerchen und will mich nicht aus dem Fenster lehnen, weil mir das sowieso wieder negativ ausgelegt wird“, sagte sie. Zur Abschluss-Pressekonferenz des DSV am Sonntag im Deutschen Haus wurden Steffen und Biedermann nicht mit auf die Bühne gebeten.

DSV-Chefin: Keine Suche nach "einem Guru"

Die DSV-Verantwortlichen werden wieder einmal die Strukturen auf den Prüfstand stellen, persönliche Konsequenzen wird es nicht geben. „Wir werden nicht nach einem Guru suchen“, sagte Präsidentin Christa Thiel. Leistungssportdirektor Lutz Buschkow, dessen Vertrag Ende des Jahres ausläuft, schloss einen Rücktritt aus und will weitermachen.

Dabei wird die Kritik immer lauter. Franziska van Almsick forderte als ARD-Expertin: „Es muss eine Veränderung her. Schlimmer geht es nicht mehr.“ Der viermalige Olympiasieger und erfolgreichste gesamtdeutsche Olympia-Schwimmer Roland Matthes wünscht sich „eine Art Diktator, der die Linie vorgibt“. Einen starken Mann wie Uli Hoeneß bei Bayern München.

+++ Becker und van Almsick kritisieren deutsche Sportler +++

Ganz „einfach und simpel“ ist es für Essens Trainer Henning Lambertz. „Wir trainieren zu wenig, wir trainieren nicht hart genug. Warum wir weniger trainieren als zum Beispiel die USA, liegt natürlich auch an unserem Schulsystem in Deutschland“, erklärte Lambertz, der als Kandidat für den Posten des Bundestrainers gilt. Hoffnung auf schnelle Besserung machte aber auch Lambertz nicht: „Wir müssen über einen Zeitraum von sechs oder acht Jahren denken.“

Deibler-Brüder als Hoffnungsschimmer

Buschkow sieht zumindest einige Athleten, „die Hoffnung schnuppern lassen“. Dazu gehören Steffen und Markus Deibler. Die Brüder, die bislang stets nur im Winter auf der Kurzbahn für Furore sorgten, haben in London mit beherzten Leistungen überzeugt.

Der 25 Jahre alte Steffen Deibler überraschte mit Platz vier über 100 Meter Schmetterling. Da Olympiasieger Michael Phelps seine Karriere beendet, könnte in Zukunft noch mehr möglich sein. Der drei Jahre jüngere Markus rutschte über 200 Meter Lagen in den Endlauf und wurde Achter. Paul Biedermann, der nach dem Vorlauf-Aus über 400 Meter Freistil auf der halben Strecke als Fünfter Respekt zurückgewonnen hatte und am Dienstag 26 Jahre alt wird, gehört auch noch nicht zum alten Eisen.

Phelps und die nächste Generation

Wie es geht, zeigten die Amerikaner – allen voran Phelps. Der Rekord-Olympiasieger ließ sich auch von seinem vierten Platz zum Auftakt über 400 Meter sowie dem unglücklichen zweiten Rang über 200 Meter Schmetterling nicht schocken. Mit je zweimal Gold auf Einzelstrecken und mit den Staffeln war er am Ende einmal mehr der Mann der Spiele.

Die nächste Teenie-Generation ist schon da. Die 17 Jahre alte viermalige Olympiasiegerin Melissa Franklin und die 15 Jahre alte 800-Meter-Siegerin Katie Ledecky bei den USA. Die ebenfalls 15-jährige Litauerin Ruta Meilutyte, die sich Gold über 100 Meter Brust schnappte. Und natürlich die Chinesen mit ihren Weltrekordlern Sun Yang und Ye Shiwen. Für Deutschlands Schwimmer wird es schwierig, den Anschluss wiederherzustellen. Wie sagte Matthes? „Deutschland ist zu einem Schwimm-Entwicklungsland mutiert.“