Nach dem aufregenden Finale mit zeitweiser Disqualifikation gab es für Lilli Schwarzkopf zwar ein Happy End, aber an Schlaf war nicht zu denken.

London. An Schlaf war für Lilli Schwarzkopf nach dem unfassbaren Wechselbad der Gefühle mit Happy End kaum zu denken. Zu tiefe Spuren hatte der dramatische Siebenkampf zwischen Himmel und Hölle bei der Olympia-Zweiten hinterlassen. "Es war ein Schock fürs Leben. Ich bin 30 Jahre älter geworden“, berichtete sie nach einer kurzen Nacht mit nur zwei Stunden Schlaf überglücklich.

Der Moment, als ihr eine Kampfrichterin nach dem abschließenden 800-Meter-Lauf und der Ehrenrunde die Nachricht überbrachte, sie sei disqualifiziert worden, hatte Schwarzkopf am Sonnabendabend in Verzweiflung gestürzt. "Da habe ich gedacht, es schlägt mich von den Hacken. Ich bin quasi tot“, berichtete die 28-jährige Athletin von der LG Rhein-Wied am Sonntag.

Das Gefühls-Chaos hatte schon vor dem abschließenden 800-Meter-Lauf begonnen. Nach sechs Disziplinen lag die Olympia-Achte von 2008 auf Platz fünf – nur noch neun Punkte von einer Bronzemedaille entfernt. Schon diese unverhoffte Aussicht kostete sie Nervenkraft. "Bei mir hat alles gezittert. Ich habe nur gedacht, hoffentlich halten meine Beine durch“, erzählte die gebürtige Kasachin.

Und es lief gut, sehr gut. Nach 2:10,50 Minuten ging es nur um die Frage: Bronze oder Silber. Auf der Ehrenrunde winkte sie glücklich ins Publikum und blickte immer wieder auf die Videoanzeige. Vergeblich. "Ich habe den besten Wettkampf meines Lebens gemacht und dann war da nichts. Meine Nerven waren komplett blank“, sagte Schwarzkopf.

Als ihr dann eine Kampfrichterin mitteilte, sie sei auf die Bahnbegrenzungslinie getreten und disqualifiziert, brach eine Welt zusammen. "Ich hatte das Gefühl, in ein bodenloses Tief zu fallen, mir wurde ganz schwindlig“, berichtete die EM-Dritte von 2006.

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Abfinden wollte sich Schwarzkopf damit nicht. Für sie stand fest: Ich bin korrekt gelaufen. Der Videobeweis belegte ihre Unschuld und beendete das peinliche Chaos in den Katakomben, während Ex-Beatle Paul McCartney auf der Tribüne zu seinem Lied "All You Need Is Love“ tanzte. "Schöner hätte es nicht ausgehen können“, freute sich Schwarzkopf und fügte hinzu: „Es war die Chance meines Lebens. Ich habe sie genutzt.“ Mit 6649 Punkten überbot sie ihre persönliche Bestleistung um 113 Zähler und verwies Weltmeisterin Tatjana Tschernowa (Russland/6628) auf den Bronze-Rang.

Ihren Ärger darüber, dass ihr Trainer und Vater Reinhold keine Olympia-Akkreditierung erhalten hatte und sie nur aus der Ferne betreuen konnte, wollte sie jedoch auch in der Stunde ihres größten Triumphes nicht verbergen. "Er hat mir sehr gefehlt, seine Schulter, sein Vertrauen“, sagte Schwarzkopf. Wie ein "Versuchskaninchen“ habe sie sich vom Deutschen Leichtathletik-Verband behandelt gefühlt.

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Mit solchen Problemen musste sich Großbritanniens neue Siebenkampf-"Queen“ Jessica Ennis nicht herumschlagen. Unter dem Jubel von 80 000 Fans im Olympiastadion und zwölf Millionen Zuschauern am Fernsehen vollendete die Britin mit 6955 Punkten ihren Gold-Triumph, für den sie am Sonntag auf allen Titelseiten euphorisch gefeiert wurde. "Yes, Yes, Jess! Jesssuperb!“, schrieb der "Sunday Mirror“ über das Golden Girl. Und in Anspielung an Hepthatlon, dem englischen Wort für Siebenkampf, stimmte "The Sun“ ein "Hep, hep, hooray! - GB's Superwomen“ an.

Der Ausnahmeathletin mit dem "Mona Lisa“-Gesicht fiel nach dem Wettkampf alle Last von den Schultern, die ihr von Millionen Briten mit ihren Gold-Erwartungen aufgebürdet worden war. "Es ist eine massive Erleichterung. Ich kann es nicht glauben, ich habe es geschafft“, freute sich die 26-Jährige aus Sheffield, die auch den britischen Premierminister David Cameron vor dem Fernseher vom Sessel riss. "Das ist ein Ehrfurcht gebietender Sieg. Ich bin froh, mit ihr jubeln zu dürfen“, twitterte er.

Mit Material von sid und dpa