Wider die Stimmungstöter der Ultras. Ein Plädoyer eines langjährigen St.-Pauli-Fans und Abendblatt-Redakteurs für echtes Fußball-Feeling.

Hamburg. Sie sehen sich als Linke und sind straff organisiert. Sie lehnen bürgerliche Werte ab und sind ausgesprochen diszipliniert. Sie betonen ihren Anti-Rassismus und sind ungemein intolerant und elitär. Und sie verleiden mir die Freude am Stadionbesuch - sie, die Ultras St. Pauli, kurz USP. Die selbst ernannten Retter der Fußballkultur.

Ich glaube nicht, dass einer der gut 1000 Ultras, die auf der Südtribüne stehen, bei der Bundeswehr war oder dort hingehen wird. Ich glaube aber auch nicht, dass sie dort große Probleme mit der Befehlsstruktur hätten. Denn dass eine große Gruppe das befolgt, was wenige vorgeben, das zelebrieren sie ja auch bei jedem Heimspiel. Die Capos (sie nennen die selbst so!) hängen mit ihren Flüstertüten am Zaun und brüllen vor, was der Mob zu singen, zu tun und zu lassen hat. Gotthilf Fischer wäre begeistert von so einem famosen Chor. Denn die Sänger sind ungeheuer ausdauernd und singen weiter, ganz egal, was passiert. Das Ergebnis ist ein monotoner Singsang, der die Atmosphäre von Fahrstuhlmusik verbreitet.

Zu ertragen war es das letzte Mal vor einer Woche beim Spiel gegen Leverkusen. In der (leider nur kurzen) Drangphase des FC St. Pauli kam er wieder hoch, der gute alte Millerntor-Roar. Die Leute sprangen hoch, schrien, sangen, feuerten an - nur die USPler setzten ihr immer gleiches Konzert fort. Nicht lauter, nicht leiser, immer gleich.

Denn den Ultras geht ihre "Choreo" - die Choreografie - über alles. Und so muss ein jeder hüpfen, wenn es denn befohlen wurde, und er muss sich auch beim Hüpfen umdrehen, wenn es die Choreo so vorsieht. Und wehe, da macht einer nicht mit. So wie in der vergangenen Saison, als Deniz Naki auf das gegnerische Tor zustürmte. Alle standen und hatten den Torschrei auf den Lippen. Die Ultras aber sollten sich hüpfend umdrehen - die Choreo wollte es so. Die meisten dieser "Fußballfans" taten es auch tatsächlich. Und die wenigen, die dann doch lieber sehen wollten, ob Naki ein Tor schoss, wurden anschließend zur Sau gemacht, weil sie nicht mitgemacht hatten. Schöne Fußballkultur, die da gepflegt wird ...

Für Individualismus ist kein Platz. Aber das ist ja auch ein bürgerlicher Begriff. Da wird doch lieber Anti-Rassismus gepredigt. Und Anti-Diskriminierung. Werte, die bei St. Pauli glücklicherweise seit vielen Jahren hochgehalten werden. Aber alles hat wohl Grenzen. Die chic gekleidete Frau mit hochhackigen Schuhen wird nämlich regelmäßig bepöbelt auf ihrem Weg zu ihrem Platz. Die Vorstellung, dass eine solche Frau Fußballfan ist, aufspringt, schreit, anfeuert (was sie tut), geht offenbar über das Vorstellungsvermögen zu weit hinaus. Dafür hängt regelmäßig das Plakat mit der Aussage "All Cops are Bastards" am Zaun. Ich frage mich nur, warum dann auch alle Ultras den Torschützen des 1:0 gegen den HSV so frenetisch gefeiert haben. Das war nämlich Fabian Boll, der nicht nur Fußballprofi, sondern auch Oberkommissar bei der Hamburger Polizei ist.

Es wäre natürlich falsch, alle Ultras in einen Topf zu werfen und alles zu verneinen, was sie tun. Ihr Kampf gegen die totale Kommerzialisierung des Fußballs ist wichtig. Und wird von der großen Mehrheit im Stadion (inklusive Haupttribüne) unterstützt, von einigen Logen- oder Business-Seat-Besuchern mal abgesehen - deren Unart, erst zehn Minuten nach der Pause vom Sektschlurfen auf den Platz zurückzukehren, mich übrigens auch maßlos ärgert.

Ich selbst bin bestimmt kein Musterfan, es gibt treuere, lautere, mehr Stimmung machende. Aber ich bin nicht bereit, mir ausgerechnet von den Ultras vorhalten zu lassen, welch schlechte Stimmung im Stadion herrsche. Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass eine kleine Gruppe ihre Art des Fan-Seins einem ganzen Stadion aufzwingen will. Ich werde dann aufstehen, singen, schreien, wenn ich es will - und es verweigern, wenn der Ultra-Block mich dazu auffordert. Denn die Ultras sind nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems geworden.