Erleichterung bei Bundestrainer Löw und den Spielern, aber Rätselraten über die schwankenden Leistungen.

Ascona. Gut gespielt, zweimal schlecht gespielt, wieder gut gespielt und erneut schlecht gespielt. Die Leistungen der deutschen Nationalmannschaft passen sich, einmal bildlich gesehen, der Landschaft in den beiden Alpenrepubliken durchaus an. Und eigentlich müsste es nun, nach dem schmeichelhaften 3:2-Sieg im Halbfinale über die Türkei, im Endspiel am Sonntag wieder bergauf gehen. Sprich: Es ist wieder ein gutes Spiel an der Reihe. Fußball-Deutschland greift nach der Krone Europas, doch überall wird gerätselt, warum die Leistungen des Löw-Teams so schwankend sind. Von der Spielphilosophie des Bundestrainers, der das blitzschnelle Umschalten von Abwehr auf Angriff und dann das ideenreiche, totale Offensivspiel favorisiert, war gegen die Türkei nicht viel zu sehen. Doch für den Coach und die Spieler zählte nach dem mühsamen 3:2-Sieg nur ein Wort: Finale.

Das DFB-Team war spielerisch unterlegen, es fehlte fast allen Spielern die Dynamik und Entschlossenheit, die Türken dagegen spielten mit Herz und Leidenschaft, waren gut organisiert und bestimmten über weite Strecken den Spielrhythmus. Zudem lagen sie auch in der Statistik vorn: Sie hatten deutlich mehr Ecken (8:2) und Torschüsse (20:8). Deutschland wirkte nervös und teilweise kraftlos. Es fehlte die Frische, oft sahen die Läufe von den Spielern nach Quälerei aus.

Dieses Auf und Ab zieht sich von Beginn an durch das Turnier, und so betrieben auch die Spieler Ursachenforschung. Torwart Jens Lehmann: "Vielleicht war die Pause zu lang, wir hatten sechs lange Tage bis zum Halbfinale. Alle Mannschaften, die so lange pausieren mussten in diesem Turnier, die sind schon zu Hause." In die gleiche Kerbe schlug auch Christoph Metzelder: "Es fällt bei diesem Turnier auf, dass jeder Tag mehr Pause eher hinderlich ist. Das klingt kurios, das weiß ich, und ehrlich gesagt fehlt mir dafür auch eine Erklärung."

War es der fehlende Rhythmus? Oder wurde die türkische Mannschaft, trotz aller gegensätzlichen Aussagen der Spieler und Trainer, doch unterschätzt? Deutschland fand von Beginn an nie ins Spiel, wie schon bei der 1:2-Pleite im Vorrundenspiel gegen Kroatien. War die DFB-Truppe eventuell schon gedanklich bei der Pokalübergabe nach dem Finale in Wien?

Per Mertesacker, der vielleicht sein schlechtestes Länderspiel absolvierte, gab zu: "Das war in der ersten Halbzeit zu wenig von uns. Die Türkei war unser stärkster Gegner, und wir boten unsere schwächste Leistung in diesem Turnier." Und Miroslav Klose sagte ehrlich: "Wir haben nicht das umgesetzt, was wir vorhatten. Wir standen viel zu tief, mussten dem Ball und den Türken immer hinterher laufen." Der Bayern-Torjäger weiter: "So wie wir heute gespielt haben, so müssen wir wohl noch ein paar Schippen mehr drauf legen, um im Finale eine Chance zu haben." Er selbst könnte noch EM-Torschützenkönig werden, hat zurzeit zwei Treffer auf dem Konto. Davon aber will Klose nichts wissen: "Lieber bleibe ich auf Platz 15 und werde dafür Europameister."

Die drei Tore gegen die Türkei wurden alle von Spielern des FC Bayern erzielt: Klose, Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm. Dessen Treffer in der 90. Minute wäre fast nicht gefallen, denn Schweinsteiger berichtete: "Wahnsinn, fast hätte ich den Pass von Thomas Hitzlsperger angenommen, da hörte ich Philipp plötzlich 'Leo' rufen. Ich ließ die Kugel durch, er schoss das Tor. Er hat das riesig gemacht, es war ein Wahnsinns-Tor."

Und eines, das ganz Deutschland in einen wahren Freudentaumel versetzte. War Bundestrainer Löw noch am Abend des Spiels sehr selbstkritisch, so hatte er am Tag danach viel Verständnis für so manche Fehlleistung seiner Schützlinge. Löw: "Wir sind im Finale, nur das zählt. Wir freuen uns unglaublich und sind stolz darauf."

Am Sonnabend wird die Nationalmannschaft nach Wien fliegen. Und dann einen Anlauf unternehmen, den vierten EM-Titel zu gewinnen. Mit welcher fußballerischen Leistung auch immer. Christoph Metzelder stellte sich quasi für alle vor die deutschen Medienvertreter und sagte froh gelaunt: "Sie können schreiben, was Sie wollen, das interessiert in Deutschland keinen." Weil ganz Deutschland feiert.