Der Außenverteidiger überzeugt durch starke Leistungen auf und auch abseits des grünen Rasens.

Basel. Auf riesigen Plakaten wirbt der kleine Philipp Lahm seit geraumer Zeit gegen Autobahnraser. Doch als der Ball in dieser magischen 90. Minute zum 3:2 gegen die Türkei im Netz zappelte, hebelte er alle natürlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen aus. Mit handgemessenen 200 km/h düste Lahm die Außenbahn entlang und nahm Kurs Richtung Ersatzbank. Erster Gratulant war HSV-Profi Piotr Trochowski, der mit 1,69 Metern noch einen Zentimeter kleiner ist als der Matchwinner. Dann verschwand der 24-Jährige in einer Jubeltraube.

Logisch, dass der Profi von Bayern München später vom "wichtigsten Tor meiner Karriere" sprach. Wobei Treffer für die Nationalmannschaft anscheinend immer in die Kategorie "besonders wertvoll" eingeordnet werden müssen. Sein letztes Erfolgserlebnis feierte Lahm 2006 gegen Costa Rica mit dem brustlösenden 1:0 im WM-Eröffnungsspiel (4:2) nach einem unwiderstehlichen Sololauf.

"Ich kann aber gar nicht sagen, was ich in diesem Moment gefühlt habe", beschrieb Lahm sein Glücksgefühl, das er wie in Trance erlebte. "Man läuft zur Bank, und alle freuen sich. Man lässt einfach seine Emotionen raus." Zum Glück für ihn und die deutsche Elf hatte Bastian Schweinsteiger vor dem 3:2 den Hitzlsperger-Pass durchgelassen, nachdem Lahm "Leo" gerufen hatte. Es waren Gänsehaut-Sekunden für die deutsche Nationalmannschaft, die noch Jahre später in keinem Rückblick fehlen werden.

Lahm, der kleine große Held im St.-Jakob-Park: Seinen feinen Realitätssinn hatte der 46-fache Nationalspieler bei all dem Lob trotzdem nicht verloren. Nachdem er den Pokal für den besten Spieler des Halbfinales erhalten hatte, äußerte er Zweifel an den Besitzverhältnissen: "Es gab sicher andere Spiele während des Turniers, bei denen ich eher diese Auszeichnung verdient gehabt hätte."

Eine Aussage, die ihn ehrt - und die berechtigt war. Dem 3:2-Tor und seiner Flanke zum 2:1 von Miroslav Klose standen selten gesehene Defensivschwächen gegenüber. Auch beim 2:2-Ausgleich von Semih Semtürk konnte Lahm Sabri nicht am Flanken hindern und sah dabei aus wie ein blutiger Anfänger.

Dass aber ausgerechnet er der DFB-Auswahl die Fahrt zum Finale nach Wien ermöglichte, ist kein Zufall. Könnte sich Bundestrainer Joachim Löw einen Außenverteidiger basteln, so würde das Ideal dem von Lahm ziemlich nahe kommen.

Seine eleganten Vorstöße kurz nach der Pause, als er von Sabri nur per Foul gestoppt werden konnte, aber der Elfmeterpfiff ausblieb, oder Szenen wie vor dem 3:2 sind es, weshalb sich die europäischen Topklubs Manchester United und FC Barcelona gerne mit seiner Verpflichtung geschmückt hätten. Wenn Lahm antritt, wirkt es nie angestrengt. Leichtfüßig scheint er bei seinen Sturmläufen förmlich über den Platz zu schweben. Er ist einer, der für das Überraschungsmoment sorgen und eine gut organisierte Defensive - wie die der Türken - überraschen kann.

Doch die Bodenhaftung des Münchners siegte über die Reiselust - er verlängerte bis 2012. Sicher nicht nur, weil der FC Bayern ordentlich bezahlt, sondern weil Lahm mit seiner Familie und den Freuden im Stadtteil Gern so tief verwurzelt ist. "Mein magischer Ort? Das ist mein Zuhause", sagte Lahm kürzlich und zeigte dabei ganz bestimmt sein jungenhaft-spitzbübisches Lächeln, das ihn nicht nur bei Freundin Nicola und generell beim weiblichen Geschlecht zum "Schnuckelchen" werden lässt - sondern auch bei Männern. Speziell seit sich Lahm im Homosexuellen Lifestyle-Magazin "Front" für eine "liberale und offene Gesellschaft, in der ein tolerantes Miteinander ohne diskriminierende Vorurteile möglich ist", ausgesprochen hat, was ihm den Berliner "Tolerantia-Preis" einbrachte.

Nein, beim Fußballspielen allein belässt es der auf den ersten Blick harmlose Lahm trotz seiner jungen Jahre nicht. Neben seiner Anti-Raser-Kampagne engagiert sich Lahm für die SOS-Kinderdörfer sowie die Aktion "Bündnis für Kinder. Gegen Gewalt". Die soziale Ader und seine Unaufgeregtheit kommen nicht von ungefähr. Seine Mutter arbeitet noch immer als Jugendleiterin beim FT Gern. Als sie 2005 den bayerischen Ehrenamtspreis von Oliver Bierhoff erhielt, war dieser ganz überrascht, dass es sich um die Mutter des Nationalspielers handelte. Niemand hatte den Teamchef auf die Verwandtschaft hingewiesen - und der Lahm-Clan schon mal gar nicht.

Wer dies alles weiß, dem fällt es schwer, unparteiisch zu bleiben. Wenn es einer verdient hatte, das Tor zum Finale einer Europameisterschaft zu erzielen, dann: Philipp Lahm.