Ascona. Am Tag danach druckste der Bundestrainer herum. Auf die Frage, wie er denn die Leistung seines Kapitäns in den 90 Halbfinal-Minuten gegen die Türkei beurteilen würde, suchte Joachim Löw einige Sekunden lang nach einem Ausweg, um diese Klippe mit einer diplomatischen Antwort zu umkurven, dann hatte er die Lösung: "Ich möchte nach diesem Spiel grundsätzlich keine Spieler einzeln beurteilen. Fakt ist: Wir stehen im Finale, das bedeutet für alle Freude pur." Auch für Michael Ballack? Der Profi des FC Chelsea London konnte dem Spiel seiner Mannschaft wieder einmal keinerlei Impulse verleihen. Ballack war nur ein Mitläufer, wie schon so oft in einem Spiel dieses Turniers. Warum das so ist, ist wohl allen ein Rätsel.

Dabei verbuchte der 31-Jährige bei dieser EM bisher schon so manchen Superlativ. Er ging im deutschen Team mit rund 11,5 Kilometern pro Spiel bislang jedes Mal die weitesten Wege und war mit gemessenen 30,88 Stundenkilometern auch der bislang schnellste deutsche Spieler. Was aber bedeuten solche Werte, wenn er fußballerisch nicht in der Form spielt, die sich die Trainer, das Team und die Fans von einem solchen Ausnahmekönner wie Ballack erhofft hatten?

Die Experten rieben sich verwundert die Augen, das Spiel lief komplett an dem gebürtigen Görlitzer vorbei. Er war mit einem kleinen Antritt blitzschnell zu überlaufen, er kam überhaupt nicht in die Zweikämpfe, er konnte den Ball nie halten und auch nur selten klug nach vorne spielen. Dafür meckerte er wieder einmal enorm. Nach dem 0:1 knöpfte er sich Lukas Podolski vor (berechtigt), dann ging er verbal Per Mertesacker und Christoph Metzelder an, es folgten deftige Worte für Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger, sogar Bastian Schweinsteiger bekam sein Fett weg. Ballack war nicht zu bremsen. Nur fußballerisch gelang ihm dafür kaum etwas. Er gab allen Rätsel auf.

Nach dem Spiel aber war das alles nur noch Nebensache. Sekundenlang lagen sich der Bundestrainer und sein Kapitän in den Armen und herzten sich innig: der Finaleinzug versöhnte. "Wir verspürten in diesem Moment einfach nur tiefe Befriedigung, wir hatten einfach nur ein großes Glückgefühl. Was Michael mir gesagt hat, weiß ich gar nicht mehr", sagte Löw zu dieser Szene.

2002 in Südkorea und Japan hatte Michael Ballack das WM-Endspiel gegen Brasilien wegen einer zweiten Gelben Karte verpasst, weil er sich fürs Team aufgeopfert und ein technisches Foul begangen hatte. 2004 ging die EM in Portugal gründlich daneben, 2006 verlor Deutschland das WM-Halbfinale gegen Italien nach Verlängerung 0:2, wieder hatte es Ballack nicht geschafft, einen Titel zu gewinnen. Jetzt unternimmt er einen neuen Anlauf.

Ob Ballack allerdings auf der Position bleibt, die er gegen Portugal und gegen die Türkei bekleidete, bleibt abzuwarten. Der Mittelfeldspieler stand nicht selten auf einer Höhe mit der einzigen Spitze im deutschen Team, Miroslav Klose. Und wenn Ballack hinter dem Bayern-Stürmer auftauchte, war meistens der Platz viel zu eng, um von dort aus noch entscheidende Akzente setzen zu können. Nicht ausgeschlossen, dass Joachim Löw im Endspiel doch wieder auf das bewährte 4-4-2-System setzt, mit Ballack und Torsten Frings im zentralen Mittelfeld (auf der "Sechs"), und davor dann mit zwei Spitzen. Für Ballack wäre es wohl das Beste.