Die öffentliche Forderung nach einer Begnadigung von Bundesliga-Top-Torschütze Kevin Kuranyi setzt den Bundestrainer unter Druck.

Hamburg. Kniffliger Kuranyi-Konflikt, schwierige Sechser- Suche und mehr oder weniger gut gemeinte Ratschläge von allen Seiten: Keine sechs Wochen vor Bekanntgabe seines WM-Kaders belasten Joachim Löw nicht nur Personalprobleme in praktisch allen Mannschaftsteilen. Die öffentliche Forderung nach einer Begnadigung von Bundesliga-Top- Torschütze Kevin Kuranyi kommt für den Bundestrainer als weiterer Problempunkt zum unpassendsten Zeitpunkt. Während fast ganz Fußball- Deutschland von „Kaiser“ Franz Beckenbauer bis Meistertrainer Felix Magath das Südafrika-Ticket für den Schalker Stürmer fordert, zog sich der DFB-Chefcoach am Montag mit seiner Entourage zur Klausur zurück.

In München will Löw drei Tage mit Trainerstab und Teammanager Oliver Bierhoff über die heiße Vorbereitung auf das WM-Turnier vom 11. Juni bis 11. Juli debattieren. Die schon lange anberaumte Gesprächsrunde wird zum akuten Krisenseminar. Kein Kommentar zu Kuranyi, heißt die Botschaft der Stunde des Bundestrainers. „Es gibt von uns zu vielen Personalien klare Aussagen, die wir nicht ständig wiederholen müssen“, ließ Löw schon in der Vorwoche im Internet via dfb.de verlauten.

Die kategorisch abgelehnte Rehabilitierung des „DFB-Flüchtlings“ könnte Löw auch noch kurzfristig vor der WM-Nominierung in der Bundesliga-Finalwoche Anfang Mai vornehmen. Viel mehr lasten auf Löw die großen Verletzungssorgen. Wie eng das Korsett fürs WM-Turnier ist, machen die aktuellen Blessuren von Marcell Jansen und Sami Khedira deutlich, obwohl beide nicht einmal fixe Kandidaten für die erste Elf beim Turnierstart am 13. Juni gegen Australien wären.

Während eine Südafrika-Teilnahme von HSV-Profi Jansen (Syndesmoseband) fast schon ausgeschlossen ist und eine echte Alternative für die linke Außenbahn damit passé, lautet bei Khedira (Bänderanriss) das simple Motto „Daumen drücken“. Thomas Hitzlsperger ist auch bei Lazio Rom außer Form, Simon Rolfes verletzt und Torsten Frings – vielleicht doch zu früh – aussortiert. Fällt auch der Stuttgarter Khedira aus, wäre Löws Dilemma auf der Sechser-Position neben Kapitän Michael Ballack perfekt. Der mehr aus der Not dorthin beorderte Bastian Schweinsteiger ist die letzte Alternative im defensiven Zentrum. Doch dann wäre eine neue Lücke im rechten Mittelfeld gerissen.

Mit seinen Personalentscheidungen hatte Löw im WM-Jahr bislang überhaupt kein Glück. Kaum hatte Frings den Nationalmannschafts- Laufpass öffentlich bekommen, begann die „Sechser-Seuche“. Torwart René Adler begann zu patzen, als ihm die Nummer 1 zugesichert war. Die Probleme im Sturm sind fast schon chronisch.

Löws Lieblingstrio Miroslav Klose, Mario Gomez, Lukas Podolski ist verletzt oder Lichtjahre von der Bestform entfernt. Der noch im Herbst vom Boulevard zum Liebling auserkorene Stefan Kießling suchte seine tolle Vorrundenform und ist nun auch noch verletzt. Nur Cacau deutete zuletzt WM-reife an – und eben Kuranyi, der nach seiner Flucht aus Dortmund während des Länderspiels gegen Russland im Oktober 2008 bei Löw in Ungnade fiel.

Beckenbauer forderte via „Bild“-Zeitung eine Elefantenrunde mit DFB-Präsident Theo Zwanziger, den DFB-Trainern und Kuranyi zur Konfliktlösung – und baut einem möglichen Gesichtsverlust Löws vor. „Wenn Jogi Löw über seinen Schatten springt, verdient er vollsten Respekt und keine Kritik. Das wäre kein Umfallen, sondern eine weise Entscheidung“, schrieb Kolumnist Beckenbauer.

Schalke-Trainer Magath berichtete von einem „zufälligen Treffen“ Kuranyis mit Löw – und forderte weitere Gespräche, und sogar der ehemalige Leverkusener Manager Reiner Calmund machte sich für den in dieser Saison in der Bundesliga 17 mal erfolgreichen Kuranyi stark: „Lebenslänglich kannst du aufheben.“ Kuranyi selbst hofft weiter: „Es liegt nicht in meiner Hand.“