Kollegen sind entsetzt. Verletzter Sinkewitz wurde gestern in Hamburg operiert.

Hamburg. Es ist ein ruhiger Vormittag auf Station 6 B des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg. Die Flure, blassgelb gestrichen, sind menschenleer, im Schwesternraum links neben der Flügeltür herrscht routinierte Betriebsamkeit. Nur aus Zimmer sechs dringen Geräusche nach außen. Das Mobiltelefon klingelt ständig. Hier liegt Patrik Sinkewitz. Der 26 Jahre alte T-Mobile-Radprofi war am Montagabend in die Boberger Spezialklinik eingeliefert worden. Sinkewitz war nach der Zieldurchfahrt der achten Etappe der Tour de France mit einem Zuschauer zusammengeprallt und hatte sich schwere Gesichtsverletzungen zugezogen.

Der Radsportfan liegt weiter im Koma, scheint jedoch außer Lebensgefahr. Auch Sinkewitz' Zustand ist stabil. Auf seiner Homepage lässt er am Mittwochmorgen seinen Anhängern ausrichten: "Mir geht es zwar nicht sonderlich gut, aber ich bin froh, dass nicht mehr passiert ist." Sein Webmaster fügt hinzu: "Patrik sitzt in seinem Krankenhausbett, kann sich noch nicht sonderlich gut bewegen. Er verfolgt die Tour de France im Fernsehen, ist guter Dinge und hofft, bald wieder aufs Rad steigen zu können."

Sinkewitz' Laune ändert sich schlagartig gegen halb elf. Es ist der Zeitpunkt, der sein Leben verändern und womöglich seine Karriere beenden sollte. Sein Arbeitgeber T-Mobile unterrichtet ihn von einer positiven Dopingprobe. Sinkewitz reagiert ungläubig: "Ich? Das kann nicht sein! Ich habe nichts gemacht!" Später, als die Medien anrufen, wird er noch schmallippiger. Meistens legt er sofort auf. Das Handy - Ruftonmelodie: "I Don't Feel Like Dancin'" - schaltet er erst am frühen Nachmittag aus, kurz bevor er in den Operationssaal geschoben wird.

Der positive Test stammt vom 8. Juni. Sinkewitz bereitete sich in den Pyrenäen auf die Tour de Suisse vor. Es war eine gezielte Trainingskontrolle der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada). In Sinkewitz' Urin ermittelt das Kölner Labor später einen stark erhöhten Testosteronwert. Das erlaubte Limit (4:1) wurde um den Faktor sechs (24:1) überschritten (siehe Text unten rechts).

T-Mobile suspendiert seinen Fahrer auf der Stelle. Bis Montag kann Sinkewitz eine Untersuchung der B-Probe beantragen. Ist auch sie positiv, wird er für zwei Jahre gesperrt. Zudem muss er ein Jahresgehalt, geschätzte 500 000 Euro, Strafe zahlen. Dazu hatte er sich freiwillig verpflichtet, als er vor der Tour den neuen Anti-Doping-Kodex des Weltverbands UCI unterzeichnete. Sinkewitz schreibt damit nachträglich Geschichte. Er wäre der erste Fahrer, bei dem die strenge Rechtsordnung greifen könnte.

Die Kollegen in Frankreich reagieren vor dem Start der zehnten Etappe entsetzt. "Das ist ungeheuerlich, unverzeihlich", meint Linus Gerdemann, "wenn die Vorwürfe zutreffen, hat Patrik ein ganzes Team und zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet." Gerdemann hatte am Sonnabend die erste Bergetappe gewonnen. Das zuvor von Dopinggeständnissen überrollte Team T-Mobile, das seit einem Jahr den Antidopingkampf beflissentlich betrieb, feiert den Erfolg als Befreiungsschlag. Sauber zu siegen scheint möglich - die Zweifel haben die Mannschaft jetzt eingeholt. Seit gestern denkt T-Mobile wieder laut über den Ausstieg aus dem Radsport nach.

Sinkewitz, der 2004 die Deutschland-Tour gewann und am 1. Mai dieses Jahres am Henningerturm siegte, war nie über jeden Verdacht erhaben. Dopinggerüchte begleiteten seine Laufbahn. Nach Abendblatt-Informationen lag er wegen der Einnahme unerlaubter Substanzen selbst mit seinem engsten persönlichen Umfeld im Streit. Bei mehreren Trainingskontrollen traf ihn die Nada in der Vergangenheit nicht an. T-Mobile wurde davon am 30. Mai unterrichtet. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass sich Sinkewitz vom italienischen "Dottor Epo" Michele Ferrari betreuen ließ. Erst auf massiven Druck T-Mobiles, das ihn 2006 von Quick-Step geholt hatte, brach er die enge Verbindung ab. Zum damaligen "Ferrari-Trio" T-Mobiles zählten auch der Australier Michael Rogers und der Italiener Eddy Mazzoleni (seit diesem Jahr bei Astana), der zuletzt wegen Dopingverdachts suspendiert wurde.

Die einzige gute Nachricht des Tages erhält Patrik Sinkewitz gegen 16.40 Uhr. Die Nasenoperation sei gut verlaufen, teilen ihm die Ärzte mit. Zeit zum Durchatmen, das weiß er, bleibt ihm nicht.