Wie mehr weibliche Mitglieder in die Sportvereine gelockt werden können. Auftaktveranstaltung morgen beim ETV.

Hamburg. Das waren noch Zeiten. Im 19. Jahrhundert rümpften vornehme Herren, vorzugsweise ältere, bei sportlichen Aktivitäten von Frauen die noble Nase, schalten derlei Bewegungen öffentlich als roh und unästhetisch, und argumentierten mit angeblich wissenschaftlichen Weisheiten: Frauensport sei gesundheitsschädlich, erschüttere die Fortpflanzungsorgane und mache auf Dauer unfruchtbar. Hinzu komme Kurzatmigkeit wie die Neigung zu Ohnmachtsanfällen. Letztere Symptome, klärten Zeitgenossen bald auf, hätten wohl simple Ursachen: die oft zu eng geschnürten Korsette. 1888 gründete die Hamburger Turnerschaft von 1816, der älteste Sportverein der Welt, seine erste Frauenriege.

119 Jahre später haben sich die Frauen aus den Fesseln männlicher Vorurteile und Machtansprüche - einigermaßen - befreit: Rund zehn Millionen sind in den etwa 90 000 Klubs des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) organisiert. In den vergangenen 40 Jahren stieg der Anteil weiblicher Vereinsangehöriger von zehn auf 40 Prozent, in Hamburg sind es derzeit 43,13. Unter den 388 348 ordentlichen Mitgliedern des Hamburger Sportbundes (HSB) registrierten die Statistiker im Februar 167 492 Frauen und Mädchen.

Der erste Frauensport-Aktionstag des DOSB soll ihre Zahl weiter heben helfen. Die bundesweite Auftaktveranstaltung findet am Sonnabend beim Eimsbütteler Turnverband (ETV) in der Bundesstraße 96 statt.

Verband für Turnen/Freizeit hat 75 Prozent weibliche Mitglieder

"Wenn Vereine wachsen wollen, müssen sie attraktive Angebote für Frauen machen. Allein in diesem Bereich gibt es ausreichend Potenzial. Aber viele fühlen sich weiter ihren traditionellen Sportarten und nicht ihren Mitgliedern verpflichtet. Diese Klubs sind auf Dauer nicht überlebensfähig", warnt Bernd Lange-Beck, Geschäftsführer des Hamburger Verbandes für Turnen und Freizeit (VTF). Der verzeichnete in den vergangenen 20 Jahren dank modernen Managements einen Zuwachs von 80 000 auf 139 000 Mitglieder. 75 Prozent von ihnen sind weiblich - wie bei Sportspaß, mit mehr als 43 000 (aktiven) Beitragszahlern hinter dem HSV (45 000, davon rund 40 000 passive Supporters) Hamburgs größter Verein.

Was Frauen wollen, zeigt in Deutschland die Entwicklung der Sportarten seit 1995: Fitness und Turnen liegen neben Fußball im Trend (siehe Tops und Flops unten rechts). Klubs, die auf den Wandel reagierten und ihn ihr Vereinsleben integrierten, hatten Erfolg. Wie der ETV. Die Mitgliederzahl kletterte seit den 90er-Jahren von 4000 auf jetzt 10 000. Weil der Klub, so Geschäftsführer Frank Fechner, zum Frauenversteher wurde, Fitness, Wellness und Gesundheitssport in sein Kursprogramm kopierte (fünf Beispiele siehe unten).

Für Frauen, weiß Karen Beigel, sei die Hemmschwelle, einem Verein beizutreten, weiterhin groß. "Deshalb ist es für die Klubs wichtig, genau zu beschreiben, was in ihren Kursen passiert, welche gesundheitlichen Ziele verfolgt, welche Körperpartien, welche Muskel angesprochen werden und an welche Altersgruppen sich die Angebote richten", sagt die Geschäftsführerin des VTF-Bildungswerkes. "Frauen haben im Gegensatz zu den meisten Männern einen ganzheitlichen Blick."

Je größer die Transparenz sei, desto eher ließen sie sich darauf ein, ihre persönlichen Komfortzonen zu verlassen und sich auf das Abenteuer Vereinssport einzulassen. Der habe im allgemeinen Ansehen immer noch etwas Muffiges, Altertümliches. Das reiche hin bis zu Äußerlichkeiten. Beigel: "Frauen lieben es hell, freundlich und sauber. Eine fensterlose Turnhalle würde bei vielen abschreckend wirken."

Zentrale Bedeutung genieße das Thema Flexibilität. Frauen haben Familien, Kinder. Planen sei schwierig. Die Sportangebote der Vereine müssten über den ganzen Tag, die ganze Woche verteilt sein. "Wir bieten jetzt verstärkt Kurse gegen acht Uhr morgens an", sagt ETV-Mann Fechner. Dann es ist das Kind zur Schule gebracht und vor der Arbeit bliebe noch Zeit. Für die Figur - für Bauch, Beine, Po in allen möglichen Übungs- und Präsentationsformen.

Meditative und spirituelle Elemente, sagt Karen Beigel, gewinnen an Bedeutung, Körper und Seele wollen angesprochen werden, auch in größeren Trainingsgruppen möglichst individuell. Trainer sollten das wissen. "Die Befindlichkeit steht bei Frauen im Vordergrund, zudem die Steigerung der Lebensqualität."

Wettkampfsport mieden dagegen viele, "der direkte Vergleich erzeugt einen Druck, dem sich Frauen ungern stellen", glaubt Beigel. Wer dennoch Leistungssport treibe, kenne diesen gewöhnlich aus seinem näheren Umfeld, aus der Familie, von Verwandten und Bekannten. Der nötige Wille, andere zu besiegen, fehlt Frauen oft. Eine - nicht repräsentative - psychologische Untersuchung bei Schachspielerinnen lieferte Anhaltspunkte für diese These: Die besten hatten das Aggressionsniveau schwächerer Männer. Eine Einstellung wie die eines Bobby Fischers, der es liebte, "das Ego meines Gegners zu brechen", ist Frauen fremd. Der US-Amerikaner war von 1972 bis 1975 Schach-Weltmeister. Das hat bisher keine Frau geschafft.