Lieber Tommy, es ist schon ziemlich lange her, vielleicht 14, 15 Jahre. Du warst noch sehr klein, konntest gerade über das Netz gucken. Dein Vater war Trainer bei uns im Club, TC Vier Jahreszeiten in Hamburg-Großflottbek. Ich war damals ungefähr 16 und fast doppelt so groß wie Du. So kam es mir jedenfalls vor. In meiner Altersklasse war ich die Nummer eins oder zwei im Verein. Nichts tolles, aber auf die erste Clubmeisterschaft war ich schon ein wenig stolz. Dein Vater war eigentlich ein ganz guter Trainer, engagiert und meist freundlich. Aber zu Dir und Deiner Schwester Sabine war er anders, viel strenger. Da flogen bei Fehlern auch schon mal Bälle in Eure Richtung. Und Du hast dann total verschüchtert aus der Wäsche geschaut. Aber er hat Dich nicht zum Tennis "geprügelt". Nein, Du warst begeistert. Wenn mal kein Training war, hast Du die Bälle gegen die Wand geschlagen. Irgendwie klischeehaft, aber es stimmt. Ich habe nicht unbedingt gerne mit Dir trainiert. Schon mit zehn Jahren warst Du ziemlich gut. Und eine Freundin von mir meinte, Du hättest damals schon "den Dicken gemacht", wärst, vorsichtig formuliert, recht selbstbewusst gewesen. Trotzdem habe ich Dich besiegt, im Training. Du wirst es nicht mehr wissen, aber ich kann mich genau an die 6:0, 6:0-Klatsche erinnern. Aber weißt Du was? Ich habe nur gewonnen, weil ich größer war. Weil ich härter schlagen konnte, und weil Du mit Deinen kurzen Beinen nicht so schnell laufen konntest. In Deiner Altersklasse hast Du so ziemlich alles gewonnen, bundesweit. Aber das hat Dir ja nicht gereicht. Du musstest Dich unbedingt mit Älteren messen. Deswegen hast Du mich gefordert, für die clubinterne Rangliste. Es war regnerisch und kalt. Den ersten Satz habe ich noch glatt gewonnen, glaube ich. So wie im Training. Doch dann meine Nerven, ständig dieser Gedanken: Wenn Du gegen diese kleine Wurst (Pardon!) verlierst, kannst du dich nicht mehr blicken lassen. Deine Freunde werden dich auslachen, du wirst vor Schmach nie wieder Tennis spielen. Es kam so. Ich verlor den zweiten Satz im Tie-Break, den dritten dann auch. Mir war heiß und schlecht. Später habe ich mir eine Grippe eingeredet, quasi als Entschuldigung. Kurz danach hast Du unseren Club verlassen, bist nach Florida gegangen. Der Rest ist bekannt. Heute spielst Du Dein Auftaktmatch am Rothenbaum. Ich sehe Dich gerne spielen, auch aus Nostalgie. Immer wenn Du gegen Weltstars wie Sampras oder Agassi antrittst, denke ich an das Training zurück. An das 6:0, 6:0. Wenn ich an das Forderungsspiel denke, bekomme ich heute noch Bauchschmerzen. Lass uns doch mal wieder ein paar Bälle schlagen . . . Dein Hinnerk Blombach