Val d'Isere. Es ging bereits auf Mitternacht zu, als Lindsey Vonn ihrer Freundin Maria Riesch eine Flasche Champagner reichte. "Ich mache die aber nicht mit dem Ski auf", sagte Riesch in Erinnerung an das Malheur der Amerikanerin, die sich bei der eigenen Gold-Feier am Daumen verletzt hatte. Riesch öffnete herkömmlich, und die Party nahm unfallfrei ihren Lauf. Wenig später lagen sich die Weltmeisterinnen in den Armen und sangen lauthals "We are the Champions". "Ich habe Gold! Das ist der Oberhammer", rief Riesch.

Zehn Stunden zuvor, als der zweite Slalomdurchgang bei der alpinen Skiweltmeisterschaft in Val d'Isere gestartet wurde, hatte weder Riesch noch sonst einer der Augenzeugen diesen Triumph für möglich gehalten. Obwohl sie bei ihren vier WM-Auftritten zuvor maßlos enttäuscht hatte, war die 24-Jährige als Favoritin in den Slalom gegangen, lag aber nach dem ersten Lauf nur auf Rang sechs. Dann zauberte "Gold-Marie" einen Traumlauf in den Schnee, den Konkurrentinnen versagten durch die Bank die Nerven - und "plötzlich hatte ich Gold".

Und das, obwohl Riesch nach ihrem schweren Trainingssturz und den vier Pleiten zuvor körperlich und seelisch am Boden lag. "Ich hatte Momente, in denen ich gezweifelt habe und psychisch völlig platt war", gab sie zu. Der Riesenslalomsieg ihrer Teamkollegin Kathrin Hölzl nahm ihr dann den Druck des Siegenmüssens - derart befreit wedelte sie zum Sieg.

Riesch gewann als erste Deutsche seit Rosi Mittermaier 1976 den WM-Titel im Slalom. Und weil "Gold-Rosi" diese Ehre seinerzeit bei Olympia nur "nebenbei" aufgrund einer seltsamen Regelung des Weltverbandes zuteil geworden war, darf sich Riesch als erste "echte" deutsche Weltmeisterin im Slalom seit der legendären Christl Cranz 1939 - vor genau 70 Jahren also - fühlen. "Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist historisch, ein Märchen", bekräftigte Wolfgang Maier, Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes (DSV).

Wegweisend sei das auch für den Nachwuchs, der endlich wieder Vorbilder hat. Wegweisend für die Olympischen Spiele 2010 in Vancouver. Wegweisend für die Heim-WM 2011 in Garmisch-Partenkirchen. "Diese WM wird das Highlight meiner Karriere. In meinem Heimatort anzutreten, noch dazu als Titelverteidigerin, wird etwas ganz Besonderes", sagte Riesch.

Doch bis dahin hat die neue Slalomweltmeisterin noch viel vor, und das auch noch in dieser Saison. "Es gibt noch sehr viel zu gewinnen in diesem Winter. Wir werden uns zusammenreißen und versuchen, noch etwas zu holen", sagte Riesch. Zum Beispiel den Slalomweltcup, den Riesch bereits beim Heimrennen in Ofterschwang Anfang März gewinnen kann.

Und den Gesamtweltcup. Dieses Wort hört Riesch gar nicht gern, weil es den viel zitierten Druck auslöst. Doch dass sie diesem trotz aller Widrigkeiten standhalten kann, hat Riesch sich und der Skiwelt in Val d'Isere hinlänglich bewiesen. 179 Punkte liegt sie in der Gesamtwertung hinter Lindsey Vonn zurück - eine schwierige, aber keine unlösbare Aufgabe.

Ihre mentale Stärke könnte ihr dabei zugute kommen. Aus dem Ausnahmetalent, für das Rosi Mittermaier "nie das große Vorbild, sondern immer die Mutter vom Felix war", ist längst eine Vorzeige-Sportlerin geworden. Auf und auch neben der Piste, denn mit großer Professionalität absolviert sie geduldig die immer zahlreicher werdenden Medien- und lukrativen Werbetermine.

Selbst in schweren Stunden stellt sie sich. Bemerkenswerterweise suchte die zweimalige Disziplinweltcup-Gewinnerin nach dem verpassten Kombinations-Edelmetall keineswegs die Schuld beim schmerzhaften Trainingssturz. Sondern bei sich selbst: Wer so viele Fehler mache, habe eine Medaille eben nicht verdient.

"Wir vom DSV sind froh, dass wir so eine Athletin haben, weil sie unseren Sport nach vorne bringt. Sie sammelt viele Sympathien und ist ein Vorbild für die Jugend", befand Alpindirektor Maier.