Wichtiges über das Leben vor und hinter den Deichen - Schafe zum Beispiel sind die besten Rasenmäher der Welt, Seehunde dürfen dagegen in erster Linie faul in der Sonne liegen und werden dafür heiß geliebt.

Reetdächerhäuser, Spitzgiebel, Schafe auf den Deichen, gemütliche Wandbetten: Die Friesen weisen so manche Besonderheit auf, die heutzutage von unschlagbarem touristischem Wert ist, aber traditionell vor allem einen praktischen Sinn besaß. Das kann auch gar nicht anders sein - in einem Landstrich, der von den Launen der Natur bestimmt wurde, wo ganze Dörfer in die Fluten gespült wurden, Felder versalzten und damit den Menschen die Lebensgrundlage genommen wurde, und der Wechsel der Gezeiten den Lebensrhythmus der Menschen dominierten. Aber die Friesen haben nicht nur Land ans Meer verloren, sondern andernorts auch wieder ganze Landstriche aus dem Nichts erschaffen. Wie das geht und noch vieles andere über das Leben vor und hinter den Deichen, erfahren Sie hier:

!(i , >)

Friesenhäuser - Früher wurde in Alkoven und mancherorts auch im Sitzen geschlafen

Die Häuser wurden in Ost-West-Richtung gebaut, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu geben. Tragendes Element waren nicht die Mauern, sondern die Balken. So blieb bei Sturmfluten, wenn die Mauern bereits eingedrückt waren, das auf den Ständern ruhende Dach als erhöhter Zufluchtspunkt erhalten. Charakteristisch ist der Spitzgiebel über der Eingangstür, früher diente dieses zusätzliche Fenster bei Feuer als Fluchtmöglichkeit. Der Pesel war die gute Stube, vielfach mit blau-weißen Kacheln und Kaminofen versehen. Daneben gab es die Küche mit Speisekammer. Ein eigenes Schlafzimmer existierte häufig nicht. Freistehende Betten kamen in den alten friesischen Bauernhäusern nicht vor. Man schlief in Wandbetten, die teilweise mit Holztüren oder Vorhängen verschließbar waren, den Alkoven. Früher haben ganze Familien in einem Alkoven geschlafen, und da die Schrankbetten in der Regel relativ kurz waren, wurde halb im Sitzen geschlafen. Ebenfalls typisch ist die Klööndoor. Weil man früher das Heim mit dem Vieh teilte und Luftaustausch daher höchst willkommen war, gab es diese praktische Zweiteilung, bei der nur die obere Hälfte aufgeklappt wurde, ohne dass die Viecher derweil das Weite suchten.

!(i Reetdächer>)

Reetdächer - das Schilf auf dem Dach - einfach unschlagbar

Die Friesen haben das Stroh nicht unter dem Dach, sondern obenauf. Besser gesagt, das Schilf, das in Bündeln im Winter geerntet wird. Dann sind die Blätter welk, und die saftlosen Halme lassen sich gut schneiden. Heutzutage wird das auch Ried genannte Material mehrheitlich aus anderen Ländern wie Ungarn importiert. Frisch gedeckt hat die "Strohhaube" eines Hauses eine Stärke von 40 cm. Die reetgedeckten Häuser sind nicht nur der Inbegriff der friesischen Gemütlichkeit, sondern haben sich als sehr praktisch erwiesen. Denn das Stroh isoliert winters wie sommers. Zudem können Dachschindeln bei Wind leichter abgetragen werden, die weiche Reethaube hat dagegen den Vorteil, dass sie dem Wind nachgibt. Ein Reetdach auf der Wetterseite hat eine Lebensdauer von etwa sechzig Jahren, auf der geschützten Seite kann es gut und gerne hundert Jahre alt werden. Eine Anschaffung lohnt also, auch wenn ein Reetdach wegen der Brandgefahr in der Versicherung mindestens doppelt so teuer ist. Dabei sind die Reetdächer heute durch bessere Imprägnierung lange nicht mehr so gefährdet. Feuerwerk ist aus diesem Grund ehedem strikt verboten.

!(i , <)

Sprache - Platt kontra Friesisch

An der Nordseeküste wird neben Hochdeutsch auch auf Friesisch und Plattdeutsch parliert. Das Friesische wird allerdings nur noch in Helgoland und Nordfriesland gesprochen, an der ostfriesischen Küste ist es schon seit Jahrhunderten als Umgangssprache verloren gegangen und durch das in Niedersachsen und Schleswig-Holstein übliche Plattdeutsch ersetzt worden. Platt gilt vielerorts als Familiensprache. Dagegen beherrschen nur noch ungefähr 8.000 Friesen die Sprache ihrer Vorfahren. Manche stecken sich einen kleinen Silberknopf ans Revers, um kenntlich zu machen, dass sie friesisch sprechen und Gleichgesinnte suchen. Auf dem Festland gibt es mindestens sechs verschiedene Dialekte, auf Sylt wird Sölring gesprochen, auf Amrum Ömrang, auf Föhr Fering und auf Helgoland Halunder.

Moin - Was es eigentlich wirklich heißt

Sicherlich macht die frische Nordseeluft ganz schön müde, aber müssen sich die Küstenmenschen eigentlich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang einen guten Morgen wünschen? Alles Schlafmützen hinter dem Deich? Weit gefehlt: Der Ruf Moin meint nicht Morgen. Moi heißt auf Plattdeutsch: gut, schön. Entsprechend bedeutet Moin: einen Guten…

"Steife Brise" - Hier wachsen die Bäume gen Osten

Um eine gut sitzende Frisur braucht man sich an der Nordseeküste keine Gedanken zu machen, der Wind bringt sowieso alles durcheinander und bläst immerzu. Denn der Wind ist ständiger Begleiter. Er verpasst den Büschen eine Sturmfrisur. Meistens bläst er aus dem Westen; mal aus Nordwest. Kommt er aus Südwest, der "Schietecke", dann bringt er Wolken und Regen mit. Stehen die Windräder still oder ein schlapper Ostwind treibt sie an - was selten passiert -, bleibt das Wetter zwar, wie es ist, aber die Menschen an der Küste fühlen sich "dösig" im Kopf. Ohne Wind ist die Welt an der Nordsee nicht in Ordnung.

Reizklima - Was prickelt denn da so?

Jeder Urlauber kennt das belebende Gefühl eines Spaziergangs an der Nordsee. Der Körper ist durchgepustet, mit roten Wangen und prickelnder Haut und dem Gefühl "so richtig tief durchgeatmet zu haben". In Feinstaub-gebeutelten Zeiten nicht zu verachten: Der ständige Wind macht die Luft staub- und allergenfrei und an der Wasserlinie belebt die Luft dank ihres hohen Jodgehalts die hormonelle Funktion der Drüsen. Auch die Nervenzellen und Blutgefäße in der Haut werden durch die drängende, zerrende Windbewegung stimuliert. Manchen kommt ein Bad in der Nordsee selbst im Sommer grausig kalt vor, aber ebendiese Frische hat eine belebende Wirkung auf den Organismus. Außerdem massieren Wellen, Salz und Gasbläschen im Schaum der Gischt den Körper und röten die Haut. Bereits die alten Römer wussten: "Neptunus omnia sanat - das Meer heilt alles".

Geest und Marsch

Geest ist das gehobene Land, das überwiegend aus Sandboden eiszeitlicher Herkunft besteht und typischerweise mit Heide und Kiefergehölzen bewachsen ist. Der Wortursprung güst steht für trocken, unfruchtbar. Die Marsch, die an die Geest angrenzt, setzt sich dagegen aus Schwemmland und Schlickablagerungen zusammen und wurde im Laufe der Zeit zu einem festen Kleiboden, der nur wenig über (nicht selten auch unter) dem Meeresspiegel liegt. Die Marsch gibt fettes Weideland ab und wird an der Nordseeküste fast in ihrer Gänze entsprechend genutzt, so dass Geestbauern häufig sehnsüchtig die Marschbauern beneideten.

Lahnungen - So wird Land gewonnen

Die Friesen haben nicht nur Land verloren, sondern verstanden es auch, dem Meer Land "abzutrotzen". Dazu werden die Wiesen und das Watt vor dem Deich in Landgewinnungsfelder umgewandelt. Pfahlzäune beruhigen das aufgelaufene Wasser im Vorland, dämpfen die Wellenbewegung; zwischen den Lahnungen bilden sich so genannte Stillwasserzonen. Hier setzen sich die von der Flut angespülten Sedimente ab. Diese so genannte Aufschlickung ist der erste Schritt der Landgewinnung. Bei wind- und strömungsgünstiger Wattlage fallen bis zu 30 cm Schlick im Jahr an; in ungünstigen Küstenabschnitten können es auch nur 2 cm sein. Lahnungen müssen schwere Sturmfluten und auch den Eisschub im Winter überstehen, immer wieder kommt es vor, dass das Werk vieler Monate in wenigen Stunden zerstört wird.

Koog - Land, das es einst nicht gab

Koog bezeichnet eingedeichtes Marschland. Erst wird das Land durch die Lahnungen gewonnen und als so genanntes Vorland gepflegt. Hat dieses die "Deichreife" erreicht, kann es eingedeicht, bewirtschaftet und schließlich besiedelt werden. Deichreif ist ein Vorland, wenn es eine bestimmte Höhenlage erreicht hat und der Boden landwirtschaftlichen Anforderungen genügt. Seit 1436, als mit dem Alten Wiedingharder Koog erstmals neues Land gewonnen wurde, entstanden an der Westküste insgesamt 90 Köge. Den alten Kögen ist kaum noch anzusehen, dass hier einst kein Baum oder Strauch wuchs und keine Menschen lebten. Heute wirken sie wie "normales" Land - zum Beispiel Friedrichskoog. Die Zeiten der Eindeichung zur Gewinnung von neuem Ackerland sind lange vorbei. Neue Deiche und Köge dienen heute ausschließlich dem Küstenschutz.

Deiche - Wer nicht will deichen, der muss weichen

Hauke Hain focht als Deichgraf in "Der Schimmelreiter" den schwierigen Kampf gegen Wind, Wasser und Sturmfluten. Und so wie in Theodor Storms weltberühmter Novelle müssen die Menschen, die an der Nordseeküste leben, seit jeher den Naturgewalten trotzen. Ihre Devise und zugleich ihr Schicksal: "Wer nicht will deichen, muss weichen." Die ältesten Deiche, die man bisher kennt, sind rund 900 Jahre alt. Friesen aus dem Gebiet der Rheinmündung brachten die Fertigkeit des Deichbaus um das Jahr 1000 ins Land. 2-3 m hoch waren die ersten Erdwälle, die das Wasser zurückhalten sollten. Rund 300 km lang ist die Deichlinie mittlerweile; ein Erdwall ist heutzutage 8 m hoch und besteht aus einem Sandkern mit einer Kleidecke. Der Vorteil: Die Deichbauer benötigen weniger kostbaren Marschboden und können sich den reichlich vorhandenen Sand aus dem Meer holen. Um das Grün kümmern sich vierbeinige Helfer: Schafe ziehen über die Deiche, halten das Gras kurz und verdichten den Boden, sodass Maulwürfe und Mäuse so gut wie keine Chance haben, im Deich zu wühlen.

Gezeiten - im Wechsel von 6 Stunden und 25 Minuten

"Hier überflutet der Ozean zweimal binnen Tag und Nacht in ausgebreiteter Flut einen unermesslichen Landstrich und verursacht einen ewigen Streit der Natur, so dass man nicht weiß, ob diese Gegend zum festen Land oder zum Meere gehört". Besitzer dieser trefflichen Beobachtungsgabe lebte 23-79 n. Chr. und stammte nicht aus dieser Region: Es war der römische Geschichtsschreiber Plinius der Ältere, der das Wechselspiel der Gezeiten beschrieb. Unter Gezeit oder Tide werden Wasserstandsänderungen des Meeres verstanden. Ursache für die Gezeiten sind die Anziehungs- und Fliehkräfte von Erde, Mond und Sonne. Der Mond baut mit seiner Anziehungskraft auf der ihm zugewandten Erdhälfte Wassermassen auf, einen so genannten "Flutberg"; auf der abgewandten Erdhälfte entsteht dagegen ein "Ebbtal". Die Erde dreht sich alle 24 Stunden unter den Flutbergen und Ebbtälern hindurch. Zirka sechs Stunden steigt das Wasser an, sechs Stunden fällt der Wasserspiegel. Eine Tide, bestehend aus Ebbe und Flut, dauert an der Nordsee 12 Stunden, 50 Minuten. Der Gezeitenwechsel verschiebt sich also jeden Tag ca. um eine knappe Stunde (was für Besucher und Bewohner unpraktisch ist). Die Differenz zwischen den beiden Wasserständen wird Tidenhub genannt; er liegt an der Nordsee um die 3 m. Den eigentlichen Grund für dieses Phänomen kennen die Ostfriesen indes ganz genau: Als das Meer das erste Mal ans Ufer stieß, erblickte es einen Ostfriesen und zog sich erschrocken zurück. Seitdem schaut es alle 12 Stunden vorbei, ob sich immer noch nichts verändert hat.

Watt - der Matsch, den bis zu 10 000 Lebewesen bewohnen

Das Wasser ist fort. Die Nordsee hat sich kilometerweit zurückgezogen: Es herrscht Ebbe. Bis zum Horizont Matsch, gewellt, gerippt, Möwen kreischen am Himmel, Austernfischer trippeln durch Pfützen, stochern mit dem Schnabel in den Wasserlachen. Die Ebene scheint endlos, glitzert in Grau- und Brauntönen. Geblieben ist das Wattenmeer, das Übergangsgebiet vom festen Land zum Meer, was die Nordsee alle sechs Stunden freilegt und dann wieder überflutet. Bis zu 20 km breit und 450 km lang erstreckt sich diese einzigartige Landschaft entlang der Nordseeküste, von den Niederlanden bis nach Dänemark. 1985/86 wurde das gesamte schleswig-holsteinische und niedersächsische Wattenmeer unter Schutz stellt. Denn es ist ein empfindliches, einzigartiges Ökosystem. Hier ist ganz schön was los: Bis zu 10.000 Tiere können sich je nach Beschaffenheit des Bodens auf einem Quadratmeter tummeln. Zudem ist das Wattenmeer Laichplatz und Kinderstube vieler Fischarten und Nahrungslieferant für zahlreiche Vögel. Wattwanderer können bei Führungen erfahren, was unter ihren Füßen lebt, während sie sich in den "Matsch" wagen.

Seehunde - Die dicken Lieblinge

Jahrhundertelang wurden sie wegen ihres Fells oder zum Vergnügen gejagt, zahlreiche Besucher der Insel fanden darin ihre touristische Lieblingsbetätigung, darunter leidenschaftliche Jäger wie Otto von Bismarck und Hermann Göring. In den 30er Jahren waren die Seehunde fast ausgerottet, aber nur langsam setzte ein Umdenken ein. Erst 1973 konnte man sich zu einem kompletten Jagdverbot durchringen. Erfreulich schnell wuchs die Seehund-Population, die allerdings 1988 einen schweren Rückschlag erlitt. Ausgelöst durch eine Viruskrankheit, die durch Umweltgifte hervorgerufen wurde, setzte in diesem Jahr ein besorgniserregendes Seehund-Sterben ein. Innerhalb weniger Wochen wurde der Bestand um 80 Prozent dezimiert. Seither hat sich die Population aber wieder vollständig erholt.

Seehunde leben die längste Zeit im offenen Meer. Während der Geburt, der Aufzucht der Jungen und der Paarungszeit im Spätsommer sind sie auf Sandbänke angewiesen. Zwischen Ende Mai und Mitte Juli bringen sie hier ihre Jungen zur Welt, in der Regel nicht mehr als eins. Die "Wonneproppen des Meeres" halten durch ständige, nebelhorn-artige Rufe Kontakt zur Mutter, daher der Name Heuler. Die an Land plump und unbeholfen wirkenden Tiere sind gewandte, unermüdliche Schwimmer. Anfang September ziehen sie sich in tiefere Fischgründe zurück. Wochenlang tummeln sie sich im Wasser, das Land brauchen sie nicht. Alle 3-5 Minuten kommen sie an die Oberfläche, um Luft zu holen, können aber auch sehr viel länger tauchen. Um sich auszuruhen, lassen sie sich im Wasser treiben. Am Strand gefundene Heuler dürfen auf keinen Fall angefasst werden, da sie ansonsten von der Mutter des fremden Geruchs wegen verstoßen werden könnten.