Segeln: Rügen mit dem Katamaran aus einer anderen Perspektive erleben. Die zunächst noch gemütliche Bootspartie auf der Ostsee wird spätestens bei Windstärke fünf zum Kampf mit den Naturgewalten.

Kentern gehört zum Katamaranfahren wie die Kreidefelsen zu Rügen. Richtig umkippen will gelernt sein - behutsam zwischen dem sich neigenden Segel und den zwei Bootsrümpfen ins Wasser gleiten, dabei das Sport-Schiff möglichst nicht loslassen: Es könnte so schnell davontreiben, dass es nicht mehr einzuholen wäre.

Leute, die es lieben, auf den schnellen Katamaranen zu segeln, wissen das natürlich. Aber zwischen Theorie und Praxis gibt es Unterschiede. Außerdem startet die Umrundung von Deutschlands größter Insel am Rügendamm, unter dem die rund zehn Meter hohen Masten einfach nicht durchpassen wollen. Also: einmal kentern bitte!

Brav hebt sich der Rumpf, der aus zwei Kufen mit einem dazwischengespannten Netz besteht, aus dem Wasser. Das Segel klatscht auf die Wellen - geschafft. Vom Schlauchboot gezogen, geht's ein Stück an Stralsunds Stadtkulisse mit gotischen Giebeln und großen Kirchen vorbei und unter der Brücke hindurch. Hinter dem Rügendamm erheben sich die Masten wieder in Richtung Himmel, die Segel werden in den Wind gestellt, der Törn kann beginnen. Vier Tage sind für die rund 220 Kilometer lange Strecke geplant, der Wind kommt von vorn, es wird viel gekreuzt. Am Ende werden die Segler rund 350 Kilometer bewältigt, dreimal gezeltet und etliche Male die Boote aufgerichtet haben.

Der Wind auf dem Greifswalder Bodden frischt auf. "Nicht zu dicht ans Ufer", hat Tour-Guide Tom Hausch gewarnt. Ein richtiger Segellehrer ist der breitschultrige Typ mit dem strahlenden Lächeln. Tom kennt die Gefahrenstellen der Route, weiß, wo Untiefen und versteckte Steine oder hinderliche Seegraswiesen lauern, denkt daran, bei verspäteter Ankunft am Zeltplatz in der Kneipe anzurufen: "Sagt dem zweiten Koch Bescheid, er möchte warten." Ohne Führung und Begleitboot wäre eine solche Tour zu gefährlich, findet selbst Volker aus Berlin, mit 64 ältester Tourteilnehmer. Er traut sich einiges zu, hat die Segelreviere der Welt durchprobiert. Ob türkische Ägäis, Mittelmeer in Tunesien, Rotes Meer in Ägypten - so ein Tourangebot wie das Rügener habe er noch nirgends gefunden: "Sonst hätte ich es längst gemacht."

Flott gleiten die schlanken Rümpfe durchs Wasser. Zu zweit werden die Katamarane gesegelt, einer ist für Großsegel und Steuer verantwortlich, der andere bedient das Vorsegel und hilft, das Boot zu trimmen. Das heißt, er verbringt bei rasanter Fahrt die meiste Zeit außerhalb des Bootes, in einem Gurt an die Wanten gehängt, mit den Füßen am Schwimmkörper abgestützt. Fast waagerecht hängt man im Trapez, oben der Himmel, unten die Wellen. Es rauscht, es weht, es spritzt. "Eine gute Sache, den Kopf freizubekommen", sagt Christian, Software-Unternehmer aus München. Ihn hat das Segelvirus vor anderthalb Jahren infiziert, er hat zu Hause sogar einen eigenen Kat. "Aber was ist der Ammersee im Vergleich zur Ostsee", sagt Christian, zieht tief die salzige Luft in die Lungen und schaut auf die Küste Rügens. "Das hier ist doch einmalig."

Dann ruft er am Steuer: "Klar zur Wende". Der Vorschotmann kraxelt fürs Manöver ins Boot. Hat der Wind zugenommen, oder ist der neue Kurs noch schneller? Die Wogen werden kräftiger - "meterhoch", sagen die Segler hinterher stolz. Gischt spritzt, die Kufen heben sich und werden durchs Gewicht der weit draußen stehenden Segler wieder dorthin gepresst, wo sie hingehören: ins Wasser. Denn nur dann ist das Boot das, was es sein soll - schnell.

Längst haben die Muskeln die kurze Pause am Palmer Ort, dem südlichsten Zipfel von Rügen, vergessen. Das Steuer zerrt an den Armen, die Schot reibt an der aufgeweichten Haut der Hände. Die Wellen tragen Schaumkronen, erste Anzeichen für Windstärke fünf. Jetzt ist das gemütliche Segeln vorbei, die Sportler genießen den Kampf mit den Naturgewalten. "Dit is' dit, wo ick blitzende Augen krieje", berlinert Volker, der pensionierte Elektrotechniker, und wünscht sich ein Foto vom gewagten Surfen auf der Katamaran-Kufe.

Am Strand von Thiessow wartet aufgeregt Nils. Der Vierjährige aus Wolfenbüttel hat die Katamarane schon von Weitem gesehen, er beobachtet, wie die zwölf Segler, die in ihren schützenden Neopren-Anzügen wie Außerirdische wirken, erschöpft die Boote an Land ziehen.

Am zweiten Tag fällt der Wind fast komplett aus. Die Boote schaukeln sich im lauen Lüftchen vorwärts. Christian beginnt jetzt vom Geocaching, der Schatzsuche per Navigationssystem zu schwärmen. "Was das ist, erkläre ich, wenn's auf dem Boot mal richtig langweilig wird", hat er bei Reisebeginn gesagt. Also erzählt er jetzt von Koordinaten und Internetseiten, während die Katamaran-Karavane um die Halbinsel Mönchgut schippert, später Prora passiert, das ehemalige Nazi-Erholungsbad. In Zeitlupe geht es vorbei am Fährhafen Sassnitz, an den Kreidefelsen und an Lohme, wo ein Klinikgebäude nach Küstenabbrüchen im vergangenen Jahr bedrohlich dicht an der Steiluferkante steht.

Christian ist gedanklich immer noch auf Internetschatzsuche, ein Seeadler schwebt in großer Höhe am Himmel, die sinkende Sonne taucht Rügen in warme Farben. Dann treibt eine kleine Brise die Boote zur Anlegestelle Glowe. Nach dem Essen in der Kneipe - der Koch hatte gewartet - erzählen die Segler Geschichten von Mast- und Schotbruch. Volker hat das alles schon erlebt, sagt er: "Rumms, als wenn ein Blitz einschlägt - und dann liegste im Wasser."

Die Fischer in Glowe sind lange vor den Seglern auf den Beinen. Sie pulen die Flundern aus den Netzen, schimpfen auf Kormoran und Dorschquote, sagen aber guten Wind voraus. Der treibt die Rügenumsegler um die nördlichste Spitze der Insel, Kap Arkona mit dem Leuchtturm. Zügig wird Hiddensee erreicht. "Fast besser als Skifahren", schwärmt die Österreicherin Ursula, und das wolle bei ihr etwas heißen.

Letzte Nacht, gemeinsames Sonnenuntergangserlebnis mit Bier am Strand. Am Horizont ist bereits die Stralsunder Volkswerft zu sehen, das letzte Stück ist morgen schnell geschafft. "Wer einmal um Rügen gesegelt ist, möchte das immer wieder", sagt Knut Kuntoff, Chef der Segelschule in Altefähr zufrieden. Nächstes Jahr will er die Katamaran-Flotte erweitern, die geführte Tour sei ein einträgliches Geschäft. Zum Abschied umarmen sich die Segler. "Bis bald", sagen viele. Und Ursula meint, man sei doch jetzt eine große Familie.