Rücktritt im Zorn: Susanne Gaschke beendet ihre Zeit als Kieler Oberbürgermeisterin mit heftiger Kritik an der Politik. Von den Bürgern habe sie allerdings „ganz viel Zuwendung“ erhalten.

Kiel. Tief Christian riss Pfannen vom Dach, Tief Susanne wütete im Inneren des Gebäudes: Im Kieler Rathaus geht es nach einem in jeder Hinsicht stürmischen Montag ans Aufräumen. Die Hinterlassenschaften des Orkans dürften schnell beseitigt sein. Für die Hinterlassenschaften von Susanne Gaschke gilt das nicht. Bei ihrem letzten Auftritt als Oberbürgermeisterin tat sie noch einmal all jenen weh, die ihr in den vergangenen Wochen in die Quere gekommen waren. Landesregierung, örtliche Tageszeitung, die Parteipolitiker im Rathaus – kurzum und mit Gaschke gesprochen: „die testosterongesteuerten Politik- und Medientypen, die unseren Politikbetrieb prägen und deuten“.

Als die Oberbürgermeisterin am Montag um 12 Uhr in der Rotunde des Rathauses vor die Mikrofone trat, war klar, was sie ankündigen wollte: ihren Rücktritt. „Ich kann die politischen, persönlichen und medialen Angriffe, denen ich seit mehr als neun Wochen ausgesetzt bin, nicht länger ertragen“, sagte sie. Die Kieler müssen nun innerhalb von sechs Monaten einen neuen Verwaltungschef wählen. Einen Bewerber gibt es schon: Der stellvertretende Kieler Oberbürgermeister Peter Todeskino (Grüne) will kandidieren.

Susanne Gaschke (SPD) sah sich seit Wochen mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Anlass ist ein umstrittener Steuerdeal. Die Oberbürgermeisterin hatte dem Kieler Augenarzt Detlef Uthoff am 21. Juni dieses Jahres einen Teil seiner Steuerschuld erlassen: 3,7 Millionen von insgesamt 7,8 Millionen Euro. Die Kommunalaufsicht des Innenministeriums erklärte diesen Deal am vergangenen Mittwoch für rechtswidrig. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Gaschke nun wegen des Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall.

Im Kieler Rathaus sprach die 46-Jährige am Montag nicht etwa über das rechtswidrige Steuergeschenk. Im Mittelpunkt ihrer Erklärung stand die Berichterstattung der Medien und das Verhalten der Politiker. „Eine Verwaltungsentscheidung, die meine Unterschrift trägt, hat sich in einer Weise zum Gegenstand politischer, persönlicher und medialer Skandalisierung ausgewachsen, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte“, sagte sie – und sprach von einer „Hetzjagd“. Sie habe einen „neuen Politikstil“ etablieren wollen, einen Stil, der aus Offenheit und Vertrauen bestehe und eben nicht aus kleinlichen Politikritualen. „Aber in dem eingespielten Spiel der alten Art bin ich am Ende gescheitert: eine Frau, die nicht aus der Szene kommt, eine Bürgerin, die nicht noch den kleinsten Interessenausgleich zwischen einzelnen Mandatsträgern zum Maßstab ihres Handelns macht, eine Seiteneinsteigerin, die nicht den üblichen Jargon spricht.“

„Ganz viel Zuwendung“ von den Bürgern

Von den Bürgern habe sie „ganz viel Zuwendung“ bekommen. „Hass begegnet mir nur in manchen Äußerungen der Parteipolitik dieses Rathauses“, sagte Gaschke. „Hass begegnet mir im Verhalten von so manchen Funktionären der Landesregierung. Hass begegnet mir, wenn ich die ,Kieler Nachrichten‘ aufschlage.“

Gaschkes Rücktritt wurde von den Ratsfraktionen einhellig begrüßt – auch von der SPD, für die die Oberbürgermeisterin nach nur elf Monaten im Amt zu einer Belastung geworden war. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Hans-Friedrich Traulsen erklärte knapp, Gaschkes Entscheidung sei „richtig“ gewesen. Dann folgte eine karges Lob: „Mit ihrem bürgernahen Auftreten hat sie in Kiel viel Zustimmung gefunden. Deswegen bedauern wir sehr, dass der Rücktritt vom Amt notwendig geworden war.“ Ministerpräsident Torsten Albig (SPD), den Gaschke zuvor heftig attackiert hatte, fand sogar ein paar mitfühlende Worte: „Ich nehme mit Respekt zur Kenntnis, dass Susanne Gaschke diesen für sie sicher sehr schweren Schritt heute gegangen ist. Jetzt gilt es, zum Wohl der Landeshauptstadt den Blick nach vorne zu wenden.“

Der Kooperationspartner der SPD in der Kieler Ratsversammlung, die Grünen, wurde deutlicher. Fraktionsvorsitzende Lydia Rudow: „Wir sind zutiefst traurig, mitansehen zu müssen, wie Frau Gaschke in der Rolle der Oberbürgermeisterin gescheitert ist. Es hat sich gezeigt, von welch großer Bedeutung Kenntnisse und Erfahrung im Verwaltungshandeln für die Ausübung des Amtes einer Oberbürgermeisterin sind.“ CDU-Fraktionschef Stefan Kruber sagte: „Die CDU nimmt den unausweichlichen Rücktritt der Oberbürgermeisterin mit Respekt zur Kenntnis. Die von ihr in ihrer heutigen Rücktrittsrede erhobenen Vorwürfe teilen wir ausdrücklich nicht.“ Die Sachaufklärung des Steuerdeals müsse mit Nachdruck fortgesetzt werden.

Um 13.08 Uhr war die Ära Gaschke in Kiel beendet. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, in der Hand einen Blumenstrauß, verließ sie das Rathaus. Nach dem Aufräumen wird dort nicht viel bleiben von ihr. Bei ihrer Rücktrittsrede hat sie auf die Ölgemälde ihrer Vorgänger geblickt. Ein Gaschke-Bildnis wird die Stadt nicht in Auftrag geben. Porträtiert werden nur die Oberbürgermeister, die sich mindestens vier Jahre im Amt gehalten haben.