Kiels Oberbürgermeisterin ist ihrem selbst gestellten Anspruch nicht gerecht geworden

Am Ende hat sie auch ihren Abgang noch vermasselt. „Sie können sich vorstellen, dass eine schwere Zeit hinter mir liegt“: Mit diesem Satz startete die Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke ihre Rücktrittsrede. Die eigene Befindlichkeit stand im Zentrum des länglichen Statements, das wohl eine Art politisches Manifest sein sollte – und doch nichts anderes war als eine selbstgerechte Abrechnung mit denen, die ihrer Meinung nach dieses ganze Elend verursacht haben. Mit denen, die einen Keil zwischen Kiel und sie getrieben haben. Mit all denen, die ihren Rücktritt zu verantworten haben.

Dabei hatte Gaschke doch kandidiert, um einen neuen Politikstil zu etablieren. Ein schönes Ziel hatte sie sich da ausgesucht. In der Tat agieren Politiker oft viel zu schablonenhaft. Wer Karriere machen will, der schnürt auf der Parteilinie wie ein Fuchs auf der Kaninchenfährte. Wer Karriere machen will, kritisiert die Opposition und lobt die eigene Partei. Alles vorhersehbar. Alles geeignet, um das Interesse an Politik zu verlieren.

Gaschke wollte raus aus diesen Zwängen, wollte die Opposition loben und die SPD kritisieren dürfen. Aber sie übersah dabei, dass sie selbst längst schon Bestandteil des Politikbetriebs ist. Sie ist eben nicht, wie sie behauptet, „eine Frau, die nicht aus der Szene kommt“. Und sie ist auch nicht die „Seiteneinsteigerin, die nicht den üblichen Jargon spricht“. Ihr Ehemann Hans-Peter Bartels ist seit 15 Jahren SPD-Bundestagsabgeordneter. Sie selbst ist schon seit Jahrzehnten Mitglied der Kieler SPD, des mitgliederstärksten Kreisverbands der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten. Ein machtbewusster Verband, der in der Landes-SPD ein gewisses Eigenleben führt. Und der nicht richtig glücklich darüber ist, dass der Landesvorsitzende Ralf Stegner heißt und aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde kommt. Gaschke hat sich als „Zeit“-Redakteurin gern selbst in diese Parteikonflikte hineingeworfen, hat über sie geschrieben und kraftvoll für die Kieler SPD gestritten.

Dem Landesvorsitzenden Ralf Stegner warf sie dabei 2011 einen „recht kompromisslosen ‚Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!‘-Stil“ vor. Heute reibt man sich verwundert die Augen. Hat Gaschke diesen Stil etwa kopiert? Das ausführliche Politiker- und Presse-„Bashing“, mit dem sie im Kieler Rathaus ihren Rücktritt verbrämte, lässt keinen anderen Schluss zu. Das ist Old-School-Politik in Reinkultur. Und auch der Umgang mit der eigenen Verantwortung für den Steuer-Schlamassel passt ins Bild. Gaschke hat am Montag nicht nur ihre Hände in Unschuld gewaschen, sie hat, um im Bild zu bleiben, ein langes und von allen Vorwürfen reinwaschendes Unschuldsbad genommen, angereichert mit ein wenig Unschuldslamm-Duftöl. Der Steuerdeal? „Ich habe in der Sache niemals selbst verhandelt“, sagte sie. „Ich habe nicht entschieden, dass statt zu vollstrecken der Weg des Vergleichs einzuschlagen sei. Anders als andere habe ich keine Ziele vorgegeben.“ Diesen Ton kennen wir. Hunderte von zurücktretenden Politikern vor ihr haben ihn schon angeschlagen. Nein, Gaschke strickt an einer Legende, wenn sie behauptet, sie sei anders als die „testosterongesteuerten Politik- und Medientypen, die unseren Politikbetrieb prägen und deuten“ – und die sie so verachtet.

Bei aller Kritik muss man ihr eines zugutehalten. Ihr Rücktritt ist ehrenhaft. Es gibt etliche Bürgermeister, die sich in ähnlichen Situationen an ihren Stuhl geklammert haben, bis das Abwahlverfahren sie aus dem Amt fegte. Die Verlockung, das zu tun, ist groß. Schließlich gibt es dann Gehaltszahlungen für die komplette Amtszeit. Gaschke hat dieser Verlockung widerstanden. Das bessert ihre Bilanz auf. Dennoch ist sie mit ihrem Anspruch gescheitert, einen neuen Politikstil zu etablieren. Der Beweis ist ihre selbstgerechte Abrechnung.

Der Autor ist Korrespondent des Hamburger Abendblatts in Kiel