Die Kieler Verwaltungschefin Susanne Gaschke steht vor dem Aus. Kommunalaufsicht wirft ihr Rechtsbruch vor. Für Gaschke wäre ein Rücktritt die größtmögliche Niederlage.

Kiel. „Ein fröhliches Kiel-Gefühl und gleichzeitig ein klarer Blick für die tatsächlichen Probleme“: Das wünschte sich Susanne Gaschke am 26.November 2012, am Tag ihrer Vereidigung zur Kieler Oberbürgermeisterin. Noch nicht einmal eines von sechs Amtsjahren liegt hinter ihr, da ist ihr das Kiel-Gefühl gründlich flöten gegangen. Im Mittelpunkt steht jetzt die Frage, ob es ihr von Anfang an am nötigen Problembewusstsein gefehlt hat.

Befragen lässt sie sich dazu nicht. Gaschke, 46, schweigt. Nicht nur gegenüber denen, die sie als ihre Feinde ansieht, darunter weite Teile der Medien, sondern auch gegenüber den wenigen, die sie noch unterstützen. Es geht ihr nicht gut, sie ist krankgeschrieben. Was derzeit über sie geschrieben wird, wird sie nicht heilen. Jeden Tag sind die Zeitungen voll von Rücktrittsforderungen, die sie weder zurückweist noch befolgt. Fast jeden Tag werden die geplagten Bürger der Landeshauptstadt mit neuen Nachrichten über Gaschkes Steuerdeal mit dem Kieler Augenarzt Detlef Uthoff konfrontiert. Gestern war es mal wieder so weit. Der Innenminister Andreas Breitner (SPD) erklärte, dass die Kommunalaufsicht des Landes den gesamten Steuerdeal für rechtswidrig halte. Mit anderen Worten: Die Oberbürgermeisterin hat dem Augenarzt in einer Eilentscheidung Steuerschulden in Höhe von 3,7 Millionen Euro erlassen, ohne dass es dafür eine rechtliche Grundlage gegeben hätte.

Gaschke hat das alles sicher nicht gewollt, aber sie hat es zu verantworten. Die gebürtige Kielerin hat vielleicht gedacht, dass ihr „fröhliches Kiel-Gefühl“ die Basis für eine erfolgreiche Oberbürgermeister-Zeit liefern könnte. Dass es ihr an diesem Gefühl nicht mangelt, steht außer Frage. Sie ist in dieser Stadt geboren, sie hat dort die Schule besucht und die Hochschule. Sie hat Kiel nie verlassen, selbst in den 15 Jahren nicht, die sie als Redakteurin bei der „Zeit“ in Hamburg verbrachte. Nun, so scheint es, wird sie von Kiel verlassen. Am Donnerstag kommender Woche wird der CDU-Antrag mit der Aufforderung an Gaschke, doch bitte zurückzutreten, eine breite Mehrheit in der Kieler Ratsversammlung finden. Nur SPD und SSW könnten dagegen stimmen.

Für Gaschke wäre ein Rücktritt die größtmögliche Niederlage. Oberbürgermeisterin der Stadt Kiel zu sein, bedeutet ihr viel. Ihre Antrittsrede im November beendete sie mit einer Liebeserklärung in Gedichtform. Eine Förde-Szenerie im Juni wird geschildert, die abschließende Frage beantwortet sich von selbst: „Wo auf der Welt möchten Sie lieber zu Hause sein?“

Der „Zeit“-Journalist Jochen Bittner bezeichnete seine Kollegin Gaschke im Herbst 2012 in einem einfühlsamen Abschiedsartikel denn auch als „Kieler Patriotin“. Weiter heißt es im „Zeit“-Text: „Wenn es darüber hinaus eine Qualität gibt, die Journalisten und Politiker verbinden sollte, dann ist es die Bereitschaft, für eine Sache einzutreten, von der man überzeugt ist, und zwar auch gegen die Mehrheitsmeinung. Dass sie das konnte und dass sie dabei Kollegen mitriss, herausriss aus bisweilen eben doch schablonenhaftem Redaktionsdenken, das hat Susanne Gaschke zu einer der prägenden Redakteurinnen dieses Blattes gemacht.“

Vielleicht wollte die Oberbürgermeisterin einfach schablonenhaftes Verwaltungsdenken überwinden, als sie am 21. Juni kurzerhand den Steuerdeal eintütete. Immerhin verzichtete die Stadt damit nicht nur 3,7 Millionen Euro. Sie sicherte sich auch Geld: 4,1 Millionen Euro, die Uthoff in Raten zurückzuzahlen versprach. Damit lässt sich schon etwas anfangen, gerade in einer Kommune, die mit 536 Millionen Euro verschuldet ist. Doch auch das ist jetzt Makulatur: Die Kommunalaufsicht hat die Stadt aufgefordert, den Deal mit Uthoff rückgängig zu machen.

Ob es gelingt, ist unklar. Der Flurschaden, den Gaschke angerichtet hat, ist so oder so gewaltig. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) ist sauer, weil sie versucht hat, ihn in den Steuerfall hineinzuziehen. Der Innenminister Andreas Breitner (SPD) ist sauer, weil sie ihm vorgeworfen hat, die Kommunalaufsicht prüfe den Steuerdeal nicht ergebnisoffen.

Gaschke steht nun wieder da, wo sie in der „Zeit“-Redaktion oft stand: Konträr zur Mehrheitsmeinung. In der Kieler SPD halten noch ein paar Genossen zu ihr, aber es werden weniger. Und die „Zeit“-Redaktion kämpft für sie. Nachdem sich „Spiegel Online“-Kolumnist Jan Fleischhauer des Falls Gaschke angenommen hatte, konterte die „Zeit“ vergangene Woche mit dem knallharten Vorwurf, Fleischhauer verachte „alle zivilisierteren Charakterzüge“. In solcher Übertreibung steckt vielleicht der Kern des Scheiterns einer Ex-„Zeit“-Journalisten, die bald auch eine Ex-Oberbürgermeisterin sein könnte.