“Das ist die Labe“, sagt Monika, und es ist gut, dass sie es sagt. Sonst würde man das Bergbächlein in Vrchlabí kaum für die Elbe halten ...

Vrchlabí. Jenen mächtigen Strom, der Lebensader für mehr als 24 Millionen Menschen in Deutschland und Tschechien ist. Vorbei an rund geschliffenen Steinen und Felsbrocken sprudelt der Fluss Richtung Böhmisches Becken. Abseits einer kleinen Kapelle planschen Kinder im eiskalten, kaum mehr als 20 Zentimeter hohen Wasser. Ein Angler schmeißt seinen Köder nach Forellen aus.

Auch Anna bemerkt das Erstaunen. Einen Kilometer bergab, nach einer Staustelle, sei die Elbe schon mehrere Meter breit, erläutert sie. Viel Wasser führe sie im Hochsommer dennoch nicht. Nur während der Schneeschmelze im Frühjahr und besonders nach starkem Regen im Juni und Juli entwickelt sich die Labe hier in 480 Meter Höhe zum reißenden Strom.

Auf einem mit Brennnesseln und Brombeersträuchern gespickten Trampelpfad flussabwärts geht's zum Kaffeetrinken gen Marktplatz. In der letzten größeren Stadt vor der rund 20 Kilometer entfernten Quelle leben 13 000 Menschen. "1945 waren es 8000, gut 7000 von ihnen Deutsche", hat Fremdenführer Miroslav Kalenský mittags gewusst. Nach deren Vertreibung aus dem Sudetenland erinnern Museen und restaurierte Fachwerkhäuser an ein Stück Geschichte im früheren Ort Hohenelbe. Unter den mehr als 80 000 Besuchern pro Jahr befinden sich viele Vertriebene, die eine Brise Heimatluft schnuppern. An der ursprünglichen Natur am Fuße des Riesengebirges mit lieblichen Hügeln, Bergwäldern und einsamen Wanderwegen hat sich nichts geändert. Vrchlabí, keine Frage, kann sich sehen lassen.

Anna Vancáková (29) deutet auf das Schloss. "Heute fungiert es als Rathaus", sagt sie in perfektem Englisch. Christoph von Gendorf habe es 1546 erbaut. Er verwirklichte einen Spleen: für jede Jahreszeit einen Turm, für jede Woche einen Raum, für jeden Tag ein Fenster.

Anna ordert einen Blaubeersaft. Das Gros der Touristen kommt im Winter, wenn Loipen und Abfahrtspisten schneesicheren Skisport garantieren. Die Pluspunkte der Region im Sommer hätten sich noch nicht überall herumgesprochen. Als Kellnerin in einem großen Hotel in der Nähe weiß die gelernte Köchin, wovon sie spricht. Die recht niedrige Arbeitslosenquote von 6,8 Prozent basiere nicht nur auf den 1200 Jobs im Skoda-Werk, sondern auch auf der Abwanderung vieler junger Leute. Bis zu 20 000 Kronen (800 Euro) monatlich verdient ein Arbeiter beim Autokonzern; eine durchschnittliche Mietwohnung kostet 320 Euro.

Freundin Monika Rysulová (21) wechselt nach dem Abitur in die Hauptstadt: In Prag startet sie ihr Tourismus-Studium mit dem Abschluss Bachelor. Leicht fällt der Umzug nicht. "Wir lieben Vrchlabí und das Leben im Riesengebirge", sagen beide unisono. Bis zur Elbe sind es wenige Schritte. Prächtig wirkt sie bei Sonnenuntergang: glitzernd, weiß schäumend und gurgelnd. Für Hamburger Ohren bisher unbekannte Töne.

Morgen: Aufmarsch zur Quelle.